Der Tod zu Pferd – Genozid in Darfur
Das Regime des Sudan hält sich bloß dank des Bürgerkriegs im Süden an der Macht. Er rechtfertigt einen permanenten Ausnahmezustand. Aber die Regierung in Khartum ist zu schwach, ihre Reitermilizen zu kontrollieren. Schlechte Aussichten für Frieden.
Fascher/Sudan. –Es sind nicht westliche Helfer, sondern sudanesische Regierungsangestellte, die kaum warten können, die schrecklichen Geschichten loszuwerden. Und sie schrecken nicht davor zurück, die Verantwortlichen zu benennen: Kein Zweifel, hier in Fascher, der Hauptstadt des Gliedstaates Northern Darfur, war bisher oberster Chef der mordenden, vergewaltigenden und brandschatzenden Dschandschawid-Milizen kein anderer als General Osman Muhammad al-Kibir, seit 15 Monaten Gouverneur. Jeder hier weiß, wer dessen Vorgesetzter ist: Nafia Ali Nafia, der Federal Minister in Khartum, der dem innersten Kreis von General Omar Hassan al-Baschirs Militärjunta angehört. Ihm sind die Gouverneure der 27 Gliedstaaten des Sudans unterstellt.
Ein jordanischer UN-Funktionär in Fascher geht ganz selbstverständlich davon aus, dass die Wahrheit für niemanden ein Geheimnis ist. Frei und laut sinnt er darüber nach, dass die herrschenden Militärs die katastrophalen Folgen ihrer Politik nicht in vollem Ausmaß vorausgesehen haben könnten. Von der fünf bis sechs Millionen zählenden Zivilbevölkerung der drei Gliedstaaten Northern, Southern und Western Darfur sind zwei Millionen von der humanitären Katastrophe direkt betroffen, eine gute Million ist innerhalb der Landesgrenzen auf der Flucht, und rund 200000 haben sich nach Tschad gerettet. Die "Dämonen auf den schnellen Pferden", wie ihr Name Dschandschawid sagt, sind in mittlerweile über einem Jahr des Terrors mit äußerster Grausamkeit vorgegangen. Selbst an jungen Müttern und ihren Säuglingen sollen sie Gräueltaten begangen haben. 15000 bis 30000 Tote, hört man gewöhnlich: Doch da die Umstände in Darfur keine genaueren Schätzungen erlauben, sind diese Zahlen seit Jahresbeginn unverändert. Hochrechnungen der Hilfswerke lassen befürchten, dass sie längst weit höher liegen könnten.
Wie viele Notleidende wären durch Hilfslieferungen überhaupt zu retten? Darfur erstreckt sich 700 bis 1300 Kilometer westlich von Khartum über ein Gebiet der Größe Frankreichs. In Städten wie Fascher oder Geneina in Western Darfur ist das Elend Zehntausender Vertriebener deutlich zu sehen. Aber die grausige Bedeutung des Umstands, dass nach UN-Angaben bis jetzt nur ein Drittel aller Notleidenden mit sauberem Wasser versorgt werden konnte, wird so noch nicht für das bloße Auge erkennbar. Wie viele von ihnen wird jede Hilfe, die noch kommen mag, zu spät erreichen? Nun, da die Regenzeit begonnen hat und viele Landstriche unpassierbar werden, fürchten manche Hilfsorganisationen bis zu tausend Tote täglich.
Auf dem ethnischen Flickenteppich Darfur waren gewalttätige Auseinandersetzungen um Land, Wasser und Vieh schon in den frühen achtziger Jahren keine Seltenheit. Noch konnten Scheichs und Häuptlinge die Konflikte im lokalen Rahmen beilegen. In den zwanzig Jahren seither verdoppelte sich die Bevölkerung der Randregion, die vom Staat, einem Monopol der Araber Nordsudans, systematisch vernachlässigt wurde. Nach zwei Jahren zunehmender Übergriffe, mehrheitlich durch Gangs regierungsnaher arabischer Nomadenstämme, griffen im Februar 2003 zwei Rebellengruppen zu den Waffen. Die Aufständischen der Sudan Liberation Army (SLA) und des Justice and Equality Movement (JEM) entrissen der Regierung das Massiv des Dschebel Marra südlich der Route von Fascher nach Geneina, über das die Armee bis heute die Kontrolle nicht wiedererlangt hat.
In den Garnisonsstädten sorgten die Militärbehörden daraufhin nach Kräften für die Rekrutierung und Bewaffnung der Milizen, denen sie im Kielwasser der regulären Einheiten freie Hand ließen. Außer durch ihre Brutalität zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie nirgendwo als offizielle Vertreter der Staatsmacht auftreten, weder in den Verhandlungsrunden, die seit letztem Herbst mehrmals wieder aufgenommen wurden, noch gar als Unterzeichner der beiden Waffenstillstandsabkommen vom September letzten und vom April dieses Jahres.
Opfer des Konflikts ist die sesshafte Bevölkerung der schwarzafrikanischen Ackerbauern, allesamt Muslime, wobei die Volksgruppen der Fur, der Messalit und der Zaghawa den größten Anteil stellen. Schwer vorstellbar, wie sie in absehbarer Zeit auf ihr Land zurückkehren und die ohnehin äußerst fragile Landwirtschaft zu neuem Leben erwecken könnten.
Falsch wäre es indes, der Binsenwahrheit aufzusitzen, nach der ein so brutales Regime wie das sudanesische seine Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung aus lauter Lust begeht. Der Überlebenskampf, in dem das fundamentalistische Regime der National Islamic Front (NIF) sich gefangen findet, ist kein bloßer Wahn. Dass al-Baschir sich seit seiner Machtergreifung vor 15 Jahren zu halten vermochte, verdankt er wohl einzig dem Bürgerkrieg im mehrheitlich christlich-animistischen Südsudan, dem großnationalen Alibi für einen dauerhaften Ausnahmezustand. Al-Baschirs Zwangsherrschaft stützt sich auf einen Sicherheitsapparat aus Myriaden von Spezial- und Parallelpolizeien, Geheim- und Nachrichtendiensten, paramilitärischen Kräften und Milizen, Volkskommandos und Nachbarschaftskomitees, die außer der Bevölkerung vor allem die unzuverlässige Armee auf Kurs zu halten haben.
Die unheilbare Schwäche des Regimes rührt daher, dass es weder den muslimischen, aber seinerseits multiethnischen Norden repräsentiert, wo vielleicht 70 Prozent der Landesbevölkerung leben, noch auch nur die knapp 40 Prozent der arabischen Sudanesen. Al-Baschirs Hausmacht in Khartum und im nördlichen Niltal umfasst drei arabische Clans namens Schaygia, Dschaaliyin und Danagla, die gemeinsam wenig mehr als fünf Prozent der sudanesischen Bevölkerung zusammenbringen, aber genug Personal fürs Finanzministerium.
1986, bei den letzten Wahlen im Land, kam die NIF, die sich heute National Congress Party nennt, gerade auf zehn Prozent der Stimmen. In einem demokratisch wählenden Norden hätte sie wohl niemals eine Chance gegen die großen alten Parteien: die Umma- Partei unter Sadiq al-Mahdi, Premierminister von 1986 bis 1989, und die Democratic Unionist Party (DUP) unter dem exilierten Mohammad Osman al-Mirghani. Beide haben eine durch die NIF kaum ernsthaft zu schwächende Hausmacht in ihren religiösen Gemeinschaften Ansar (al-Mahdi) und Chatmijjah (al-Mirghani).
Das im ganzen Land verhasste Militärregime hat nur einen einzigen Partner: John Garangs Sudanesische Volksbefreiungsarmee (SPLA), seit zwanzig Jahren der Kriegsgegner Khartums, mit dem nun Frieden geschlossen werden soll. In nicht sehr viel höherem Ansehen als das Regime steht deshalb das Abkommen mit Garangs südsudanesischen Rebellen. Für die Armee bedeutet Friede Brotlosigkeit und Verlust eines großen Teils ihrer Macht, auf nationaler Ebene und ganz besonders in den Garnisonsstädten im Süden, wo sie über Jahrzehnte das Sagen hatte. Sie sieht sich ihrer Jagdgründe beraubt, vor allem des lukrativen Geschäfts mit gewilderten Elefantenzähnen, Rhinozeros-Hörnern und Tropenhölzern, mit dem sich das Offizierskorps für die Entbehrungen im Kriegsgebiet schadlos hielt.
Die entmündigte Bevölkerung aber identifiziert das Abkommen mit der angestammten staatlichen Repression. Der "bilaterale Schacher zwischen den beiden Diktatoren al-Baschir und Garang", so die vorherrschende Sicht der Araber im Norden, gesteht außerdem dem Süden erstens zu viel zu und bringt diesem zweitens einen bestenfalls brüchigen Frieden.
Die zivilen und bewaffneten Kräfte der Opposition eint indessen nichts außer der gemeinsamen Enttäuschung darüber, dass das Abkommen sie nicht einbezieht, sondern mehr denn je an al-Baschirs Diktatur ausliefert. So denken nicht nur die Rebellen in Darfur, sondern auch die aufständischen Bedscha im Osten, an der Grenze zu Eritrea. Die Umma- Partei und die DUP begrüßen zwar das Ende der Feindseligkeiten im Süden, erklären jedoch ausdrücklich, dass die Vereinbarungen des Abkommens für sie nicht bindend seien. Sie selbst, an der Macht bis 1989, fanden keinen Weg zum Frieden mit dem Süden. Von der Scharia nämlich, den noch von Dschafar al-Numeiri erlassenen islamischen Gesetzen von 1983, die zur Hauptursache des Krieges wurden, glaubten sie sich ebenso wenig lossagen zu können wie nach ihnen al-Baschir und die NIF. Dieser Scharia-Staat aber bleibt das Hauptproblem im Sudan.
Khartum spekuliert auf das Interesse des Westens am sudanesischen Öl Das Regime hat sich nur durch massiven amerikanischen Druck und umfangreiche westliche Hilfsversprechungen zum Friedensschluss bewegen lassen. Was den Sudan bis zur Stunde mit der internationalen Gemeinschaft verbindet, ist eine Staatsverschuldung über 20 bis 25 Milliarden Dollar und der Wunsch, der Erdölsegen im Süden möge dereinst von westlichen Ölgesellschaften eingebracht werden. Bisher haben ihre Regierungen ihnen dies versagt.
Der Preis des Friedensschlusses mit dem Südsudan ist allerdings ein Selbstbestimmungsrecht, das dieser nach sechsjähriger Übergangsfrist in einem Referendum über Sezession oder Verbleib im bisherigen Staat ausüben darf. Aber nach wie vor mag sich im Nordsudan kaum jemand mit der Perspektive einer Teilung richtig anfreunden. Ausgerechnet die NIF vielleicht doch? Deren fundamentalistisches Islamisierungsprogramm war einst für das gesamte Vielvölkerreich Sudan gedacht gewesen. In Darfur sieht man es nun auf eine Aggression aus primitivstem arabischen Rassismus reduziert. Ein gutes Omen ist das nicht für Afrikas größtes Land, das drei Viertel der Fläche Indiens umfasst.
Auf der Suche nach Verstärkung für die bedrängten Araber hat die aus ernannten Abgeordneten bestehende Nationalversammlung soeben in einem Abkommen den ägyptischen Nachbarn im Sudan vier Rechte eingeräumt: freie Einreise und Bewegung im ganzen Land, freies Siedlungsrecht, Recht auf Arbeit und Recht auf Landbesitz. Im Südsudan kann man sich nur wundern über ein derartig großzügiges Geschenk. Doch um den Panarabismus, der es inspiriert haben muss, steht es nicht besser als um ein anderes Überbleibsel der Kolonialzeit, die sudanesische Eisenbahn. Noch zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts von den Briten erbaut, ist sie heute ziemlich hinfällig und alles andere als zuverlässig.
Bis 1969 war im ganzen Sudan, auch im arabischen Norden, an allen Schulen Englisch die Unterrichtssprache. Wären sie dabei geblieben, so lässt sich mit giftiger Ironie behaupten, wären die sudanesischen Araber heute in der arabischen Welt eine Elite. Doch seit den siebziger Jahren, als in Ägypten die letzten medizinischen und naturwissenschaftlichen Dissertationen in arabischer Sprache geschrieben wurden, befindet sich dieser arabisch- islamische Außenposten Afrikas mit Volldampf auf Kurs in eine fundamentalistisch neu erfundene Vergangenheit.