Wer ist Muslim?

In der «Botschaft aus Amman» von 2005 geben viele gewichtige Stimmen eine einvernehmliche Antwort.

Von Georg Brunold, Die Weltwoche, 19.02.2015

«Wer ist Muslim? Ist es zulässig, einen Muslim zum Ungläubigen zu erklären? Wer entscheidet in diesen Fragen?» Die Zugehörigkeit zur Umma, der Weltgemeinschaft aller Muslime, ist für Muslime eine Frage, von der das Recht auf Leib und Leben abhängt. Im November 2004 hat König Abdullah II. von Jordanien 200 höchsten Würdenträgern aller islamischen Konfessionen diese drei Fragen vorgelegt. In der «Botschaft aus Amman» vom Juli 2005, in der diese mit einer Stimme sprechen, sind die drei Fragen beantwortet. Ihre Erklärung hat sich noch im selben Jahr die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) mit ihren 57 Mitgliedstaaten zu eigen gemacht.

Als Muslime gelten Bekennende sämtlicher traditionellen sunnitischen und schiitischen Glaubensrichtungen; acht ihrer Rechtsschulen sind namentlich aufgeführt, dazu drei weitere Bekenntnisse, darunter der Salafismus, die saudische Staatsreligion, und der Sufismus, die Tradition der islamischen Mystik. Es ist, so die Formel der Botschaft, nicht möglich, einen Anhänger dieser Glaubensrichtungen zum Ungläubigen zu erklären, wodurch er seines Rechtes auf den Schutz eines Gläubigen verlustig ginge. Als Rechtsgutachter zu den drei Fragen äußern kann sich nur ein nach den Maßgaben der betreffenden Schule qualifizierter Gelehrter und Vertreter. Im kontrastreichen Kreis der Signatare finden sich König Abdullah von Saudi-Arabien als Hüter der heiligen Stätten von Mekka und Medina, Großajatollah Ali Chamenei als Revolutionsführer des Iran, Yusuf al-Qaradawi, der in Katar exilierte ägyptische Chefintellektuelle der Mulismbrüder, sowie der Führer der Ismailiten, seine Exzellenz Karim Aga Khan IV. Die letzten drei firmieren in der «Botschaft aus Amman» zudem als Rechtsgutachter.

Natürlich wird die Autorität und Legitimation der in Amman versammelten Gottesgelehrten von Dissidenten genauso in Frage gestellt wie die der politischen Führung mancher islamischer Staaten und ihrer Gesellschaften. Nicht nur das. Die gegenwärtigen, von ihren Exponenten in Amman repräsentierten Strömungen sind völlig unterschiedlichen, teils gegensätzlichen Traditionen entsprungen, und deren Spannungen werden auch durch so viel Ökumene keineswegs neutralisiert.