Einträgliche Unterentwicklung? Brain Drain

Von Georg Brunold, Nairobi (WORLDMUSIC, © Tages-Anzeiger 06.01.2005)

In Kanada steigt die Zahl afrikanischer Ärzte sprunghaft an. Südafrikas Ärztedichte dagegen zeigt laut der «South African Health Review» abnehmende Tendenz: Von 21,9 Ärzten auf 100 000 Einwohner im Jahr 2001 waren 2002 noch 19,8 übrig. In einem Land wie Sambia kommen derzeit auf 100 000 Einwohner gerade sieben Ärzte.

Aber nein, er lade sie nicht ein, nach Hause zurückzukehren, erklärte der sambische Präsident Levy Mwanawasa den versammelten Landsleuten, vor denen er bei einem Besuch in den USA kürzlich sprach. Er habe ihnen keine Stellen anzubieten. Besser sollten sie da bleiben, wo sie seien, arbeiten und Geld nach Hause schicken.

Etwa der Bevölkerung Sambias, gut zehn Millionen Menschen, entspricht das Heer der qualifizierten Arbeitskräfte, die Afrika während der vergangenen dreissig Jahre an die entwickelten Volkswirtschaften Europas, Amerikas, Australiens und Neuseelands verloren hat. Nach groben Schätzungen dürfte das Total der Erwerbseinkünfte dieser Diaspora nicht allzu weit vom gesamten Bruttoinlandprodukt des afrikanischen Kontinents entfernt liegen.

Nicht dass sich der sambische Präsident mit seinem gut gemeinten Rat geradewegs unmöglich gemacht hätte. Seit einigen Jahren nämlich wird im Ernst die Frage diskutiert, ob die betroffenen Entwicklungsländer im so genannten Braindrain, in der Abwanderung qualifizierter Arbeitskraft, ausser dem Ausverkauf ihrer Zukunft nicht doch auch einen so genannten «Globalisierungsgewinn» zu sehen hätten: Der Verlust an Knowhow und Entwicklung, hört man, werde durch die Überweisungen der Emigranten volkswirtschaftlich kompensiert.

Laut Weltbank und Währungsfonds ist Afrikas professionell qualifizierte Diaspora mittlerweile auch der gewichtigste auswärtige Investor auf dem Kontinent. Weltweit summierten sich in den letzten Jahren die privaten Überweisungen in Entwicklungsländer zum Anderthalbfachen der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe, und sie übertreffen deutlich auch den Kapitalfluss, den der Schuldendienst in der Gegenrichtung aus den Entwicklungsländern in die Geberländer zurückführt.

Hört sich das nicht gut an? Afrika ersetzt öffentliche internationale Hilfe durch eigene private und nimmt damit wieder einmal, wie alle Welt es gerne hätte, eigene Probleme in die eigene Hand, nicht wahr. Ausserdem könnten nur Eiserne Vorhänge helfen, den Braindrain einzudämmen, und die gehören der Vergangenheit an. Heute will die Welthandelsorganisation WTO mit dem General Agreement for Trade and Services die globale Arbeitsmigration weiter erleichtern.

Ein afrikanischer Emigrant in den USA trägt freilich ungefähr vierzigmal mehr zur amerikanischen Volkwirtschaft bei als zu der des afrikanischen Landes, dem seine Überweisungen zufliessen. Gewiss, ein klein wenig Geld heimschicken kann nie schaden, auch Italiener, Türken oder Polen tun das heute noch. Aber kurz nach Mitte des vergangenen Jahrhunderts wurde ein Wort dafür erfunden: «Unterentwicklung», und die bündigste ökonomische Definition des Wortes seitdem hiess: Wachstum ohne Entwicklung.

Dem Sudan zum Beispiel ist für den Frieden viel Geld versprochen worden. Das südliche Kriegsgebiet mit seinen vielleicht fünf Millionen Einwohnern wird derweil – so eine neue prominente amerikanische Studie – mit 86 Ärzten, 600 Krankenschwestern und 23 Richtern in den Frieden ziehen. Ob deren Zahl wird wachsen können, wird leider nicht von ihrem guten Willen, sondern von Politikern abhängen: also wieder einmal von jenem Teil des menschlichen Abschaums, der gerne den Namen des Gesetzes im Mund führt und in der Regel nicht zum Auswandern neigt.