Weihnachten in Afrika
In Afrika mag niemand auf Gott verzichten. Von einem Ende bis zum anderen ist Afrika ein religiöser Kontinent. Wo sich Gott nicht zeigt, bleibt wenigstens der Glaube, und was die christliche Erlösungshoffnung und Heilserwartung südlich der Sahara angeht, so spitzt sie sich auf Weihnachten hin alljährlich fast zu einer Art von Fieber zu: Wenn alle Kinder im ganzen Land das Christkind, das morgen Nacht geboren wird, während einer Woche tanzend und singend, lachend und springend willkommen heissen, dann ist die Welt voller Wunder und wird fast ein wenig gerettet.
Der Advent in Afrika gleicht allerdings nicht unseren heimeligen Dezembertagen, die mit der jeden Abend früher einsetzenden Dämmerung, dem Frost und erstem Schnee die Menschen am häuslichen Herd zusammenbringen, wo Kerzenlicht ihr Herz erwärmt. In Kinshasa, Lagos, Nairobi rücken sie zusammen, weil das Leben draussen vor der Haustür zu noch früherer Stunde als sonst der Angst weicht, die nachts die Strasse beherrscht. Schon am helllichten Tag werden im Dezember Matatu entführt, die Kleinbusse, die Nairobis öffentlichen Verkehr bestreiten, und die Fahrgäste irgendwo abseits der Route in einem Waldstück ausgeraubt.
Weihnachten ist ein grosses Fest, und anders als andere grosse Feste, die zum gegebenen Zeitpunkt nur bestimmte Einzelne verpflichten, verpflichtet Weihnachten alle zur selben Zeit. Da hilft die schönste Bescheidenheit nicht weiter. Schliesslich sind es nicht die eigenen Wünsche und Erwartungen, sondern die Wünsche und Erwartungen der Nächsten und deren Enttäuschungen, die einen zu zermalmen drohen.
In Erwartung des Erlösers werden deshalb nicht nur Gewohnheitstäter rühriger. Der Hochdruck macht Diebe aus Familienvätern, die sonst das Leben von Engeln führen – zumindest gemessen an der Härte ihrer Situation. Wer würde erwarten, dass sich in der Weihnachtszeit nur das Heilsbedürfnis Luft macht, nicht aber auch die Not und die Verzweiflung, die dieses nähren und schwellen lassen?
Oft hilft die Gelegenheit mit, nicht weil alle Leute zum Wintersport in die Ferien fahren, aber weil sehr viele ihre Häuser in der Stadt verlassen, um sich zum Familientreffen am ländlichen Stammsitz einzufinden. Es kann schwierig werden, für die frohen Festtage Wächter zu finden, die in der Einsamkeit nicht mit geladenen arbeitslosen Freunden dem Alkohol zusprechen. Wer unterdessen möchte sich auf die öffentlichen Ordnungshüter verlassen, ja im vorweihnächtlichen Bedarfsfall sich gar an sie wenden? Jeder weiss, dass er dort nur auf Aufmerksamkeit für deren eigene Weihnachtswünsche stossen könnte. Ohnehin hat sich die Polizei aus eigenem Antrieb auf ihr kriminelles Potenzial besonnen und gibt nun in der Gängelung der Verkehrsteilnehmer täglich etwas mehr Gas. Wer im Advent von einer Behörde etwas will, muss verrückt sein.
Vor elf, zwölf Jahren war ich tollkühn genug, zehn Tage vor Weihnachten und in Begleitung von Benin aus über die Landesgrenze nach Nigeria einzureisen. Nach halbstündigem Tauziehen drohte der betrunkene Sicherheitschef am nigerianischen Posten kurzerhand, meine Begleiterin aus der Schweiz als Spionin zu verhaften und mich gleichfalls, und zwar als Frauenhändler beim Versuch, sie nach Nigeria einzuschmuggeln. Hier kostete die Errettung 100 Dollar.
Wunder haben bekanntlich mit Verbrechen gemeinsam, dass sie gegen die Regeln verstossen: So ist Afrika zu Weihnachten eine Welt voller Wunder, und wir werden jetzt nicht alle Kinder im ganzen Land vergessen, die tanzend und singend, lachend und springend diese Welt ein wenig retten.