Mann tut, was er kann... Vom Sinn des Lebens
Kürzlich berichtete eine hiesige Zeitung von einem Neunzigjährigen, der mit 134 oder 137 Frauen verheiratet war, genau erinnere ich mich nicht. Es handelte sich um einen Christen aus einer Volksgruppe im Westen Kenyas, deren Name hier mit Rücksicht auf das Feingefühl anderer Angehöriger seines Stammes unterschlagen wird. Nie seien es mehr als vier Ehefrauen gleichzeitig gewesen, einige seien untreu gewesen, und die habe er weggeschickt. Die Geschichte seiner Kinder und Grosskinder ist noch zu schreiben.
Ebenso die des Massai-Politikers, den ich in den frühen Neunzigern näher kennen gelernt hatte und kürzlich wieder von Weitem grüsste: ein Potentat, unter dem kenyanischen Präsidenten Daniel arap Moi mehrmals Minister, inzwischen über achtzig. In der kolonialen Frühzeit hatte sich sein Vater als weisser Siedler in Nairobis Reichenvorort Karen niedergelassen und sich eine Massai-Frau genommen. Sein Haus steht auf einem Grundstück von vielleicht 50 Hektar.
Aus fünf aufeinander folgenden Ehen hat er zirka 17 oder 18 Söhne und Töchter – wer in seinem Land ein Mann sein will, darf den Nachwuchs nicht gezählt haben. Soweit sie das Alter dazu schon erreichten, gingen alle in Übersee zur Schule. Die jüngste Tochter war vor drei Jahren vier oder fünf, und wer danach dazugekommen sein mag, das wäre nachzurecherchieren.
Natürlich kann das bei Weitem noch nicht alles gewesen sein. Eine seiner Töchter sagt, die Zahl der ihr persönlich bekannten Halbgeschwister liege irgendwo zwischen 30 und 40, und sie denke nicht, dass dies viel mehr als die Hälfte sein könnte.
Sein Vater starb, als er ein kleiner Knabe war, worauf er mit seiner Mutter bei einem Zweig ihrer Familie Aufnahme fand. Seit er begriffen hatte, dass er einem Kuckucksei entschlüpft war und es sich in seiner häuslichen Umgebung nicht um Verwandte ersten Grades handelte, bescherte er seiner Ziehfamilie über mindestens zwei Generationen einen nicht versiegenden internen Kindersegen. Drei von vier Schwestern, seine Nichten zweiten Grades oder ähnlich, hatten jede mehrere Kinder von ihm.
So viel zum Hintergrund aus dem Massai-Land, falls Sie am Zürcher Hauptbahnhof zu L. L. ins Taxi steigen sollten. Der Massai L. L. lebt seit etwas über 15 Jahren in der Schweiz, und man wird sagen dürfen, dass er Nomade geblieben ist. In Kenya hatte der damals wenig über Zwanzigjährige vier Kinder, als ihn eine Strandtouristin von Mombasa in die Ostschweiz heiratete. Lange hielten sie es nicht zusammen aus, und nebst dem Kind von seiner Ehefrau hat er in verschiedenen helvetischen Landesteilen mittlerweile mindestens fünf weitere Kinder. Auch bei seinen regelmässigen Ferienaufenthalten daheim in Kenya ist er gewiss nicht untätig geblieben.
Ich fragte ihn verschiedene Male nach den Details, erhielt von ihm auch jede gewünschte Auskunft, konnte mir das jedoch schlecht merken. Ausserdem dürfte er auf seinen Fortpflanzungszügen noch eine mindestens doppelt so lange Wegstrecke wie die schon zurückgelegte vor sich haben. Früher oder später kapituliert die Buchhaltung da ohnehin.
Wer sich wundert, wundert sich über den Normalfall bei Nomadenvölkern. (Aus einem solchen stammt auch der Mann mit den 134 oder 137 Ehefrauen in der hiesigen Zeitung.) Die Mehrheit der Kenyaner sind sesshafte Pflanzer, die wissen, dass ein mittlerer Hof bestenfalls zwei Söhnen ein Auskommen zu bieten hat.
Anders bei Nomadenvölkern, die von der Tierzucht leben. Der Sinn des Lebens und nicht nur das, sondern die einzige Daseinsberechtigung eines Massai heisst Fruchtbarsein, und in dieser Hinsicht zu versagen, kann nur ein Fluch und eine Strafe Gottes sein. Schlimmer ist einzig noch, aus freien Stücken nachzulassen.