Ein einziger Besucher. Im Petersdom zu Yamoussoukro
«Zentrum des religiösen Tourismus», hatte es auf der Homepage der Basilique Notre-Dame de la Paix geheissen. Bin ich für religiösen Tourismus bezahlt? Keine Fragen bitte, ich muss mich ins Pilgerbuch eintragen, ich ganz allein. Sogar Ouattara, mein Fahrer, hat mich im Stich gelassen; er sei schon mehrmals hier gewesen, entschuldigt er sich. Unter der unbarmherzigen Tropensonne wird der Weg vom Pförtnerhaus zur Basilique sich dehnen.
Als ich vorhin aus dem Wagen stieg, trat ein afrikanisches Paar mit einem kleinen Mädchen aus dem weitläufigen Pförtnerhaus auf den Parkplatz hinaus. Seitdem bewegt sich nebst mir selber nur mein offizieller Führer Maurice.
Ich wundere mich ein wenig, dass Maurice kaum Atem zu schöpfen braucht in seinen Erläuterungen zur Baugeschichte, zu den Materialien und ihrer Herkunft, zu den Gewichten und Massen des Baus. Tut er es doch einmal, höre ich deutlich, wie in seinem Kopf die CD aufsummt, fast wie die «Britannica» (Edition 2002), die sonst immer, wenn ich alleine und so weit fort bin von zu Hause, im CD-Driver meines Laptops alles weiss. Nicht nur über den Marmor aus Carrara. Projekte wie die Basilika von Yamoussoukro haben weltweit Tradition. Auch in Westafrika liess der Sultan von Timbuktu schon im 15. Jahrhundert Grabsteine aus iberischen Steinbrüchen übers Mittelmeer und durch die Sahara nach Mali transportieren.
80 000 Sitzplätze sind es, hat Maurice gesagt, alle frei, auch der angeschriebene von Félix Houphouët-Boigny, Bauherr der Basilique und Staatsoberhaupt der Elfenbeinküste von 1960 bis 1993. In einer der Säulen fahren wir nun – der Aufzug lässt davon fast gar nichts spüren – himmelwärts. Es wird berichtet, die Notre-Dame de la Paix in Yamoussoukro sei zuerst einige Meter höher gewesen als der Petersdom in Rom, dessen Kopie im Massstab 1:1 der Bau von Yamoussoukro sein soll. Diese Überhöhe musste jedoch wieder abgetragen werden, ehe im September 1990 Papst Johannes Paul II. die Basilique weihen kam.
Die Doppeltür des Aufzugs öffnet sich, und im Inneren des Doms fällt der Blick in einen Abgrund, beinahe wie der Blick von Reisenden, die beim Zwischenhalt der Jungfraubahn ans Stollenfenster in der Eigernordwand treten. Wir treten ins Freie, und von der Terrasse aus – bewegen sie sich nicht doch? – werden jetzt einige Pünktchen erkennbar. 60 Gärtner, hat Maurice gesagt. Das Grundstück misst eineinhalb auf einen Kilometer.
Das gesamte feste Personal der Notre-Dame de la Paix zählt 130 Personen, inklusive Madame Véronique, die im Pförtnerhaus einen leicht alkoholhaltigen Aperitiv auf Ananasbasis ausschenken wird. Ausser ihr und Maurice wird mir, bei diesem Besuch jedenfalls, kein Mensch so nahe treten, dass ich ein Gesicht erfassen und später einmal wiedererkennen könnte.
Was tun in dieser Lage? Einzig Swisscom Mobile beweist, dass ich auf der Welt bin. Oder jedenfalls nicht ausserhalb ihres Roaming Networks. «Bin der einzige Besucher hier», melde ich einigen Freunden in der Schweiz per SMS. «Bekehren sie wenigstens dich?», fragt einer von ihnen spitz zurück. Und etwas heiterer ein anderer: «Das, mein Lieber, ist Afrika für dich!»
Kofi dagegen, mein Kollege der Agence France Presse in Abidjan, spricht nicht von mir, als ich ihm am Tag darauf von meinen nicht so recht zu fassenden Gefühlen in der Notre-Dame de la Paix von Yamoussoukro berichte. «Jetzt musst wohl auch du es kapiert haben», sagt er grimmig. «Ein einziger Besucher! Oui, Monsieur, das ist unsere aktuelle Lage in Côte d'Ivoire.»