Die bestinformierten Leute der Welt
Nicht allen Lehrern mag man unaufhörlich nachstellen. Aber einen gibt es, Anselm, den ich suchen werde, da ich nun wieder in seinem Nachbarland Kenya lebe. Schulen gibt es nämlich auch in dem seit zwanzig Jahren vom Bürgerkrieg geplagten Südsudan. Davon habe ich mich erstmals vor dreizehn Jahren überzeugen können, in einem Nest namens Pochala nahe der äthiopischen Grenze. Hie und da hat Anselm auch hier in Nairobi vorbeigeschaut, mit seinen ganzen zwei Metern Körpergrösse.
Anselm hatte in den 50er-Jahren in England studiert, wonach er zuerst an die Goldküste und nach Sierra Leone weiterzog, ehe er sich für etliche Jahre in Lubumbashi, im noch belgischen Katanga, niederliess. Als Südsudanese spricht er deshalb nicht nur die englische und die arabische, sondern sogar die französische Sprache fliessend. Bei seinem flämischen Akzent klingt es wie Frangsä fédéral.
Was Anselm von seinem grossen Kontinent gesehen hat, ist noch gar nichts. Im Buschland und in den Sümpfen des Südsudan hört einer weit mehr, als er in einem ganzen Leben zu Gesicht bekommen könnte. Im Buchladen von Rumbek, dem derzeit einzigen im Südsudan, gibt es «Huckleberry Finn», «David Copperfield» und drei, vier andere Romane zu kaufen. Bloss: Abends, wenn Zeit zum Lesen wäre, brennt kein elektrisches Licht.
Dafür gibt es einen kleinen, alles entscheidenden Unterschied zwischen Pochala und irgendwo im tiefen Inneren des Kongo, wo die Leute zwar auch Transistorradios haben, aber bei den Transportproblemen monatelang keine Batterien. Im Südsudan hingegen, wo seit zwanzig Jahren das Personal der humanitären Hilfe und die Kader der Rebellenarmee SPLA ein und aus gehen, kommen Männer wie Anselm zu Batterien.
Nun aber wissen sie alles! Alles, wie einst nur Odysseus über so «vieler Menschen Städte und Sitte» zu singen gewusst hat. Denn nicht nur mangels anderer Beschäftigungen in der Dunkelheit, sondern fast so lange, wie sie wach sind, hören sie alle Radio – ausser den arabischen Verlautbarungen des Feindes das beste Programm der Welt: BBC World Service!
Anselm, glauben Sie mir, bleibt schlechterdings alles im Kopf. «Sage hievon auch uns ein Weniges», oh göttlicher Lehrer Anselm! Etwa von der Belehrung, die Reverend Yakubu Pam in Nigeria erhalten hat. BBC brachte das, doch ohne Anselm dauerte es einen Monat, bis ich auf den schriftlich niedergelegten Wortlaut stiess.
Euer Ehrwürden Pam ist in Plateau State Vorsitzender der «Christian Association of Nigeria (CAN)», des nigerianischen Kirchenverbands. Nach dem schweren Gewaltausbruch vom Mai empfing er den Staatspräsidenten Olusegun Obasanjo mit der etwas tief zielenden Frage, weshalb er in diesem Gliedstaat nur auftauche, wenn die Opfer Muslime seien. Der Staatschef und Christ Obasanjo sagte es ihm: «Mr. Chairman von CAN! Was haben denn Sie jemals zum Frieden in diesem Staat beigetragen, ausser dass Sie Vorsitzender von CAN sind? CAN du meine Güte! Was sind Sie bloss für ein Führer. Und Sie fragen mich solch einen Humbug. Sie sind ein Idiot, ein totaler Idiot sind Sie! Und dafür habe ich keine Entschuldigung.»