«Ja!» – Ein Kontinent der Diplomaten

Von Georg Brunold, Abidjan (WORLDMUSIC, © Tages-Anzeiger 10.06.2004)

Gestern sagte Vater: «Heute gehen wir auf den Uetliberg.» So ein Viertklässler in seinem Aufsatz mit dem lebensnahen Thema «Gestern Sonntag». «Mutter sagte: ‹Nein. Heute gehen wir nicht auf den Uetliberg.› Vater sagte: ‹Moll!› Und dann gingen wir nicht.» Und Congo aus Ougadougou, mein Freund und Nachbar an der Militärstrasse in Zürich, hat gelacht mit seinen blendend weissen Zähnen. Wie ein offenes Klavier, hätte Graham Greene geschrieben. Sogar die Schweizer also, siehst du, sagte Congo. «Bei uns hätte Maman wenigstens Ja gesagt.»

Doch keine Bange, erst einmal in Afrika, werden wir von unserem Vorurteil wieder eingeholt. Sind Afrikaner nicht doch um einiges bockiger als andere, wie es von ihnen immer heisst? Congo schärfte es mir mehrmals ein: Dass wir Weissen nach Afrika gehen, ins 16. Jahrhundert, n'est-ce pas, um den Kindern den Umgang mit dem Essbesteck beizubringen, nein, das geht nun einfach einmal nicht. Aber alldieweil wird man sich höflich bedanken. Ja.

Und was dann der weisse Mann nicht alles haben will, für sich selber, und zwar sofort, hat er nur erst den Fuss auf afrikanischen Boden gesetzt. Lauthals tönt das und im Crescendo, wie Fredy Mercury im Hit der Gruppe Queen: «I want it all! I want it all! And I want it now!!» Ein Telefon mit Durchwahl nach Übersee! Will er gar nicht wissen, dass das hier keine Selbstverständlichkeit ist, sondern die ganz grosse Ausnahme? Ja, morgen also, sagt man ihm und lässt ihn zwei Monate warten. Gewiss, er wird sie haben, die Aufenthaltsgenehmigung und die dafür erforderliche Arbeitsbewilligung. Aber drei, vier Monate sind zu viel dafür? Bin Laden war keine afrikanische Kreation, aber seither hat jeder Antrag, auch von Europäern, ein neues Sicherheitsverfahren zu durchlaufen. Und ihre Banken, die sich ihre - Gott sei mit ihnen! - Amtsstellen zum Vorbild nehmen! Nach EU-Richtlinien verlangen sie jetzt Aufschluss über andere, auswärtige Bankverbindungen.

Schweizer sind so etwas nicht gewohnt. Und zu allem hin verteidigen sogar meine afrikanischen Freunde «den normalen Gang der Dinge in ihren Einrichtungen», fast wie US-Amerikaner, obschon sie wesentlich mehr darunter leiden. Es sei denn, sie schimpfen schliesslich selber. Druck von aussen jedenfalls macht sie mürrisch, auf politische Konditionen und Pressionen, und wärs von Gebern, können sie empfindlich reagieren. Man braucht sich nur noch vorzustellen, eine ausgewachsene Krise zieht herauf. Eine Rebellion wie etwa die im Norden der Elfenbeinküste, die zwei Millionen Menschen zur Flucht nach Süden zwingt. War man nicht vierzig Jahre lang Frankreichs Stolz und Vorzeigestück in Afrika? Ja, des Mutterlandes schwarzes Kind, dessen Gründer-Vater-Präsident Félix Houphouët-Boigny selig einst in Paris Minister war!

Und nun rührt La France patriotique keinen Finger, um das nationale Desaster abzuwenden? Sorgt sich einzig um den Schutz der eigenen 20’000 Bürger hier. Ruft die Kriegsparteien nach Frankreich und diktiert der Regierung den Rahmen ihres künftigen guten Einvernehmens mit den Rebellen. Auch den, der diese Regierung keineswegs besonders schätzt, empört das! Und zwar mit der ganzen Ohnmacht seiner aufgestauten Frustrationen, die ansonsten mit der Rebellion im Norden denkbar wenig zu tun haben.

Und was hätte die Regierung der Elfenbeinküste am runden Tisch von Marcoussis tun sollen, ausser Ja zu sagen? Verlangt man von ihnen das Unmögliche, sagen Afrikaner ganz bestimmt nicht Nein. Hat man sie erst überzeugt, dass man nichts anderes akzeptiert als ein Ja, dann sagen sie Ja. Bloss werden sie es hinterher nicht tun. Und auch damit warten sie mit Sicherheit so lange zu, bis sie nicht mehr anders können. Ja, und dann gehen sie nicht.