Giftküche Gottes auf Erden

Von Georg Brunold, Nairobi (WORLDMUSIC, © Tages-Anzeiger 06.05.2004)

In der Elfenbeinküste sind sie für das christliche Gefühl zu zahlreich geworden, und es muss sich deshalb zu einem guten Teil um Ausländer handeln. Vor eineinhalb Jahren haben sie im Norden des Landes eine Rebellion vom Zaun gebrochen, drohen seitdem, das Land unwiderruflich zu spalten, und haben daher im überwiegend christlichen Süden um ihr Leben zu fürchten. Im Sudan führten sie während 37 von 48 Jahren Unabhängigkeit einen blutigen Krieg gegen Andersgläubige und nun, im Darfur, auch gegen Glaubensbrüder.

In Nigeria klagen sie seit der Wahl eines christlichen Staatschefs vor fünf Jahren über zunehmende politische und wirtschaftliche Benachteiligung und haben darum in 12 der 36 Gliedstaaten das islamische Gesetz der Scharia eingeführt, deren Geltungsbereich sie zu erweitern versprechen. Sie applaudierten den Attentätern vom 11. September 2001, verurteilten eine angebliche Ehebrecherin zum Tod durch Steinigung und ergingen sich in konfessionellen Gewaltausbrüchen, die allein dieses Jahr schon etliche Hundert, seit Präsident Obasanjos Amtsantritt 1999 mehrere Tausend Todesopfer gefordert haben.

Wenig haben sie gemeinsam, ausser dass sie alle Muslime sind. Doch auch Afrika, wo sie ihr Land meistenteils mit Mehrheiten und andernfalls zumindest mit starken Gruppen Andersgläubiger zu teilen haben, ist Teil der Medienwelt, in der der Name ihres Bekenntnisses, Islam, untrennbar mit Gewalt verknüpft ist. Ob Täter oder Opfer, ob Recht und Commonsense auf ihrer Seite oder gegen sie – in die News befördern sie sich unausweichlich als Konfliktpartei. Selbst wenn allenthalben Menschen gegen Andersgläubige oder auch gegen Glaubensgenossen zu den Waffen greifen, tun dies Christen oder Animisten (wie in Kolumbien und im Kongo) oder auch Buddhisten (wie erinnerlich in Vietnam und Kambodscha) gewöhnlich nicht in religiösem Auftrag, sondern nur als Bürger eines Landes, die womöglich für ein Recht einstehen. Doch zu ihrem Unglück kennen Muslime das nicht. Sie kämpfen für den rechten Glauben! (Leider gibt es südlich der Sahara nur ein Land, wo sie unter sich sind: Somalia, 99,8 Prozent Muslime, ein Fall für sich.)

Muslime demnach, hier wie anderswo: arroganter Machtgenuss im selteneren Fall, dass sie am Drücker sind; im häufigeren Fall Ohnmacht, Frustration und deren Kind: der Sündenbock, auf den am leichtesten zu zeigen ist. In jedem Fall sind sie nur zu rasch provoziert, wo ja selbst Gott alle ausser seine ärgsten Feinde, die berufenen fundamentalistischen Politiker, im Stich lässt.

Die Gewaltbereitschaft jener, die nichts zu verlieren haben, empfiehlt Behutsamkeit. Mit einer landesweiten Debatte um die Todesstrafe, die er abzuschaffen wünscht, hofft der Christ Obasanjo wohl nicht gerade der Scharia im Ganzen, aber doch der Steinigung beizukommen. Scheich Lamido Sanusi, Bankier und islamischer Jurist in Lagos, fordert derweil eine internationale Kodifizierung der Scharia nach dem Vorbild des Osmanenreichs, damit sie sich künftig gegen Gottesgelehrte wie Osama Bin Laden besser verteidigen lässt.

Nein, ohne Allah ist Männern wie diesem nichts entgegenzuhalten. Und jene urchristlichsten aller Christen, die auserwählten und sich wohl deshalb so erbittert bekriegenden Hochlandeliten Äthiopiens und Eritreas? Oder die katholischsten aller Katholiken, Ruandas und Burundis Hutu und Tutsi? Diese sind zwar Republikaner, keine Theokraten, und töten nicht auf Gottes Geheiss. Ist deshalb aber ihre Religion und die George W. Bushs ganz aus dem Spiel? Spielten Politiker verrückt und wähnten daraus obendrein Profit zu schlagen, war stets jede Religion gut genug, wenn auch vielleicht nicht jede exakt am selben Ort zur selben Zeit.