Der Sinn des Lebens
Arbeit. Und ein Ohr an der Pforte zu Utopia
Das Wort «Arbeit» sollte etwas weniger Mühe bereiten als das damit Bezeichnete. Wir dürfen daher auf das Wort ohne allzu große Sorgen eintreten, schließlich ist selbst ein Wort wie «schwer» vergleichsweise leicht. «Angefangne Arbeit ist halb gethan», heißt es außerdem bereits K. F. W. Wanders Sprichwörter-Lexikon von 1867. In Ansehung konkreter Lebenslagen muß diese menschenfreundliche Ermunterung zwar nicht in jedem Fall aus ihr selber heraus sofort einleuchten, aber bis zu weiterer Belehrung zwingt uns nichts, vom Gegenteil auszugehen. Immerhin hört man die Weisheit nicht nur in deutscher Sprache: «Besogne commencée est demi faite.»
Die Etymologie führt im Falle des Wortes «Arbeit» auf direktem Weg ans Wesen der Sache heran. Der deutsche Wortstamm arb findet sich wieder im lateinischen arvum: bestellter Acker – der berüchtigte Erdboden, von welchem im 3. Kapitel des 1. Buch Moses im Zusammenhang mit dem Paradies und vor allem der Vertreibung daraus die Rede ist. Slawische Sprachen kennen denselben Stamm arb mit vorgestelltem Konsonanten: rab. Rab heißt im Russischen Sklave, rabota Arbeit, rabotschij oder rabotnik: Arbeiter. Wir erinnern uns an den Roboter. Wie die Brüder Grimm in ihrem Deutschen Wörterbuch schreiben, handelt es sich beim lateinischen labor – englisch labour, italienisch lavoro – noch einmal um dasselbe Wort, in dessen Stamm lab sich die Liquide l und r ausgetauscht haben. Ein Wort, das vielleicht im selben Zug Erwähnung verdient, ist das französische travail, spanisch trabajo, portugiesisch trabalho und englisch – man höre! – travel: es kommt vom vulgärlateinischen tripalus, Dreipfahl – eine Vorrichtung zur Bändigung von schwer zu beschlagenden Pferden. Tripalare: züchtigen, quälen.
Mehr Klarheit wird sich niemand gewünscht haben. Labor – laut einem lateinischen Taschenwörterbuch: Mühe, Anstrengung, Strapaze, Beschwerde, Not, Drangsal, Arbeit ... Diese Bedeutung des Wortes ist uns geläufig. Während Jahrtausenden gab es keine andere, die Arbeit galt als eine schwere Last. In der Bibel wurzelt die Arbeit im selben Urgrund, aus dem uns auch die Sünde zuwuchs: « ... so ist um deinetwillen der Erdboden verflucht», sprach Gott der Herr zu Adam, nachdem dieser die verbotene Frucht vom Baume des Lebens gegessen hatte. «Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang.» Und: «Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen ... »! (1. Mos. III, 17-19). Noch der Bibelunkundigste kennst sich da aus, und die Arbeit wäre mit Fug die «Erbstrafe» zu nennen, mit welcher das Menschengeschlecht für die Erbsünde, diesen einzigen Biß in den Apfel, bezahlt – immerfort, ohne Ende, so lange bis der Mensch «zur Erde zurückkehrt, von der er genommen ist». Wie der Genuese und Gefährte des Kolumbus berichtet, welcher Campanellas Sonnenstadt besuchen darf, glaubt man dort in Sachen Erbsünde, das nach Gottes Willen «eher das Übel der Strafe von den Vätern auf die Söhne vererbt werde als das der Schuld». Damit wäre einiges von dieser Ausgeburt an Perfidie erklärt, als welche das Jammertal dieses Planeten sich zuweilen präsentiert.
Auch in der griechisch-römischen Antike fällt die Beurteilung der Arbeit nicht positiv aus, im Gegenteil. «Denn unmöglich kann, wer das Leben eines Gewerblers oder Tagelöhners führt, sich in den Werken der Tugend üben», heißt es bei Aristoteles, dem Philosophen (Politik, 1278a, 20f.). Wiederum ist schon den Begriffen das Grundsätzliche zu entnehmen: im Griechischen a-scholia, im lateinischen äquivalent neg-otium: am besten wiederzugeben als die Un-muße; Muße demgegenüber – scholia beziehungsweise otium – bedeutet laut dem Taschenwörterbuch Ruhe, literarische Beschäftigung, auch politische Ruhe, Friede. Dem Ideal des freien Staatsbürgers in der demokratischen Polis entsprach der Grundbesitzer, den die Rente von jeder Handarbeit entband.
Auch wenn daraus nicht auf eine generelle Verachtung der Arbeit – der Feldarbeit, des Handwerks und Gewerbes – zu schließen ist, so blieb noch für nahezu zweitausend Jahre die Vorstellung von Arbeit die eines notwendigen Übels. Das Neue Testament ändert daran nichts, obschon es auch hierin seine charakteristische Ambivalenz von himmlischen und weltlichen Sorgen zeigt. Paulus, der Ordnungspolitiker unter den Aposteln, hielt den Finger mehr auf die Notwendigkeit als auf das Übel: «Wenn jemand nicht arbeiten will, soll er auch nicht essen» (2. Thess. III, 10). «Jeder aber wird seinen eigenen Lohn empfangen nach seiner eigenen Arbeit» (1. Kor. III, 8). Schon in den Psalmen hieß es: «Wohl einem jeden, der den Herrn fürchtet und auf seinen Wegen wandelt! Deiner Hände Arbeit darfst du genießen» (128, 2). Aber das alles ist nicht zu verwechseln mit einem von sehr viel später datierenden Credo, wonach man lebt, um zu arbeiten. Es war nur erst die anspruchslosere Einsicht, daß das rechte Leben unter anderem auch die Erfüllung von Pflichten verlangt. Und wer schon war vermessen und dreist genug, sich Aussichten auf ein Leben in Muße auszurechnen? Noch tausend Jahre nach den Briefen des Paulus, um das Jahr 1100, schrieb Honorius Augustodunensis, Adam habe «sieben Stunden, nicht länger» im Paradies geweilt.
Im frühen Christentum gebot es nebst dem gesunden Menschenverstand auch die Rücksicht aufs Heil, die Arbeit aufs Notwendige zu beschränken. «Niemand kann zwei Herren dienen», sagt Jesus in der Bergpredigt. «Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. Deshalb sage ich euch: Sorget euch nicht um euer Leben, was ihr essen oder trinken sollt, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt! Sehet die Vögel des Himmels an: sie säen nicht und ernten nicht und sammeln nicht in Scheunen, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch» (Mt. VI, 24-26). Dieser Ermahnung entsprach die Erwartung der Parusie, des Jüngsten Gerichtes, der baldigen Ankunft des Reichs Gottes – bis spät ins Mittelalter eine im Alltag lebendige Erwartung. Im kurzzeitigen Provisorium des Diesseits blieben die laboratores, die Arbeiter, der untergeordnete Stand nach den bellatores – den Militärs, die Krieger hießen – und den oratores – den Klerikern, die Redner oder Beter hießen. Auf diese Trias gehen die drei Stände der vorrevolutionären Gesellschaft zurück.
Die Menschen arbeiteten, wie schon gesagt, um zu leben. Im Lande Utopia des Thomas Morus, das den Utopiern den Namen gegeben hat, werden die mühevollen Arbeiten selbstverständlich auf das Minimum reduziert, Dreißigstundenwoche hieß das im Jahre 1516, und auch in der bereits erwähnten Sonnenstadt des Fra Tomaso Campanella «teilt man niemandem ein Arbeitspensum zu, das seine Gesundheit zerstören könnte, sondern nur Beschäftigungen, die die Kräfte erhalten».
Bei Max Weber, dem Vater der deutschen Soziologie, findet sich auseinandergesetzt, weshalb vor der Reformation der Akkordlohn – ganz wider unseren heutigen Gemeinverstand – kein geeignetes Mittel zur Produktivitätssteigerung hergab. So klar, wie dabei der Gedanke entwickelt wird, und so elementar, wie er sich auswirken mußte, so ruhig und mit so viel Geduld wollen wir uns wenigstens einmal im Leben die einschlägige Betrachtung zu Gemüte rühren: «Allein hier zeigten sich nun eigentümliche Schwierigkeiten. Die Heraufsetzung der Akkordsätze bewirkte auffallend oft nicht etwa, daß mehr, sondern daß weniger an Arbeitsleistung in der gleichen Zeitspanne erzielt wurde, weil die Arbeiter die Akkorderhöhung nicht mit Herauf-, sondern mit Herabsetzung der Tagesleistung beantworteten. Der Mann, der zum Beispiel bei l Mark für den Morgen Getreidemähen bisher 21/2 Morgen täglich gemäht und so 21/2 Mark am Tag verdient hatte, mähte nach Erhöhung des Akkordsatzes für den Morgen um 25 Pf. nicht – wie gehofft wurde – angesichts der hohen Verdienstgelegenheit etwa 3 Morgen, um so 3,75 Mk. zu verdienen – wie dies sehr wohl möglich gewesen wäre –, sondern nur noch 2 Morgen am Tag, weil er so ebenfalls 21/2 Mk., wie bisher, verdiente und damit, nach biblischem Wort, ‹ihm genügen› ließ. Der Mehrverdienst reizte ihn weniger als die Minderarbeit; er fragte nicht: wieviel kann ich am Tag verdienen, wenn ich das mögliche Maximum an Arbeit leiste, sondern: wieviel muß ich arbeiten, um denjenigen Betrag – 21/2 Mk. – zu verdienen, den ich bisher einnahm und der meine traditionellen Bedürfnisse deckt? Dies ist eben ein Beispiel desjenigen Verhaltens, welches als ‹Traditionalismus› bezeichnet werden soll: der Mensch will ‹von Natur› nicht Geld und mehr Geld verdienen, sondern einfach leben, so leben, wie er zu leben gewohnt ist, und so viel erwerben, wie dazu erforderlich ist.»
Aber mit dieser Form von Gemütlichkeit sollte es einmal ein Ende haben, und bereits ein Mann wie Jakob Fugger, der prototypische Kapitalist der ersten Stunde, verwies sich den Altersrücktritt als «Kleinmut». Er habe, beschied er laut Werner Sombart einem Geschäftskollegen, «viel einen anderen Sinn, wollte gewinnen, dieweil er könnte». Eine derartige Absetzung gegen den traditionalistischen Akkordlöhner setzte anderes voraus als nur eine Tariferhöhung. Es setzte Luthers Erfindung des Berufs voraus, den es nämlich nicht schon immer gegeben hatte, da er keine naturgegebene Begleiterscheinung der Arbeit als solcher ist. Im Mittelalter erfolgte die Läuterung des Daseins, dessen Erhebung über seine Widrigkeiten, mit Max Webers Worten, in der «Überbietung der innerweltlichen Sittlichkeit durch mönchische Askese». Diesbezüglich war die Reformation von wahrlich revolutionärer Tragweite: «Unbedingt neu war jedenfalls zunächst eins: die Schätzung der Pflichterfüllung innerhalb der weltlichen Berufe als des höchsten Inhaltes, den die sittliche Selbstbetätigung überhaupt annehmen könne. Dies war es, was die Vorstellung der religiösen Bedeutung der weltlichen Alltagsarbeit zur unvermeidlichen Folge hatte und den Berufsbegriff in diesem Sinn erstmalig erzeugte.» Bei Thomas von Aquin, auf der Höhe der mittelalterlichen Philosophie, war die Arbeit noch ein zufälliges Erfordernis der Natur und unterstand keiner höheren Notwendigkeit. Nach Luther nun aber hätte Adam, wäre ihm nur etwas mehr Zeit geblieben, bereits im Paradies gearbeitet, denn das Arbeiten – so gibt Max Weber Luther wieder – sei ein «schon dem Adam (vor dem Fall) eigener, von Gott ihm eingepflanzter Trieb gewesen, dem er ‹allein Gott zu gefallen› nachgegangen sei».
Seit der Einrichtung des Berufs sind wir keine Hilfsarbeiter mehr, sondern vollwertige Kräfte, und mit dem Beruf ist aus der Arbeit der Sinn und das Worum-willen unseres Lebens geworden – nicht zu vergessen auch «die von Gott gestellte Aufgabe». Mit dem Beruf war dem «Herausfluten der Askese aus dem weltlichen Alltagsleben», so schreibt Max Weber, «ein Damm vorgebaut, und jene leidenschaftlich ernsten innerlichen Naturen, die bisher dem Mönchtum seine besten Repräsentanten geliefert hatten, waren nun darauf hingewiesen, innerhalb des weltlichen Berufslebens asketischen Idealen nachzugehen». Die Bedeutung der Reformation lag darin, daß – Max Weber übernimmt die Formel von Sebastian Franck – «nun ein jeder Christ ein Mönch sein müsse sein Leben lang», und eine materielle Notwendigkeit als Ansporn zur Arbeit ist, seitdem wir arbeiten nicht müssen, sondern dürfen, durchaus obsolet. Zu einem Problem wird es unter solchen Umständen, wenn wir nicht arbeiten dürfen.
Das protestantische Arbeitsethos wird gemeinhin mit dem Namen Calvin assoziiert. Calvins Doktrin der Gnadenwahl, wonach die Scheidung zwischen künftigen Bewohnern von Himmel und Hölle schon bei der Zeugung unwiderruflich vollzogen ist, gehört zu den inhumansten und perversesten Phantasien in der abendländischen Geistesgeschichte. Zweifellos kann dermaßen beinhartes und scharfkantiges Ideengut Puritanern nur anstehen; doch das protestantische Arbeitsethos steht mit der Prädestinationslehre in keinem unmittelbaren Zusammenhang. Wenn Arbeitsunlust unter Calvinisten als Symptom fehlenden Gnadenstandes gilt, so ist das eine sachlich nicht zureichend begründbare Behelfskonstruktion. Die Notwendigkeit der Bewährung des Glaubens im weltlichen Berufsleben, welche der Calvinismus im Laufe seiner Entwicklungen der Lehre einfügte, hatte ihn in den Auseinandersetzungen mit der englischen und andernorts mit der katholischen Amtskirche zu wappnen und unterschied ihn in der Sache nicht von den anderen reformierten Bekenntnissen. Ihnen allen gemeinsam ist die praktische Lehre einer methodisch rationalisierten Lebensführung, was man als die personal- politische Voraussetzung der kapitalistischen Gesellschaft bezeichnen könnte.
Das übrige sollte hinlänglich bekannt sein, zumindest von seiner praktischen Seite. Die Arbeit ist in der modernen Welt das A und das O, ein und alles. Mit der Arbeit bewährt sich oder scheitert eine Existenz. Die Arbeit als Medium der Selbstverwirklichung prägt die Philosophie der Neuzeit in all ihren Ausrichtungen. Idealisten und Materialisten sind sich einig, daß der Mensch geboren wird, um zu arbeiten, auch der kritische Begriff der entfremdeten Arbeit setzt dies voraus. Marxismus, Feminismus und was es im Okzident noch geben mag an großen, elementar ansetzenden Oppositionen zur gegebenen Gesellschaftsordnung, stellen die Rolle der Arbeit nicht in Frage. Oppositionelle wollen gute Menschen sein oder mindestens mit diesem Anspruch auftreten, und es kann, wer nicht arbeiten will, kein guter Mensch sein – ja, was noch mehr heißt: «Chi non lavora non fa l'amore», vielleicht hat es Adriano Celentano in seiner mehr katholischen Art auf den Punkt gebracht.
Die protestantische Theologie der Arbeit gab sich nicht immer mit Halbheiten zufrieden. Beinahe biblisch klingt es bei Benjamin Franklin: «Wer ein Mutterschwein tötet, vernichtet dessen Nachkommenschaft bis ins tausendste Glied. Wer ein Fünfschillingstück umbringt, mordet alles, was damit hätte produziert werden können: ganze Kolonnen von Pfund Sterling.» Stoff von Franklins Buchführung war freilich nicht nur das Geld, sondern in nicht minderem Maße die Zeit, denn: «Bedenke, daß die Zeit Geld ist; wer täglich zehn Schilling durch seine Arbeit erwerben könnte und den halben Tag spazieren geht oder auf seinem Zimmer faulenzt, der darf, auch wenn er nur sechs Pence für sein Vergnügen ausgibt, nicht dies allein berechnen, er hat nebendem noch fünf Schillinge ausgegeben oder vielmehr weggeworfen.» Die Arbeit ist nicht nur von Gott geschenkter höchster Selbstzweck des Lebens, sondern obendrein auch höchstes Gebot, was nicht weniger heißt, als daß die schlimmste Sünde fortan die Zeitvergeudung ist.
An dieser Stelle erreicht dieses Ethos allerdings einen kritischen Punkt, an dem es zu Widerspruch reizen muß. In einer ständischen Gesellschaft wie derjenigen Deutschlands im 19. Jahrhundert stand die Polemik gegen die Vereinigten Staaten nicht immer nur im Zeichen des Nationalismus. In seinem Roman Der Amerikamüde (1855) schilderte ein Autor mit Namen Ferdinand Kürnberger den amerikanischen Geist: «Aus Rindern macht man Talg, aus Menschen Geld.»
Trotz der Erhebung der Arbeit auf die höchsten Stufen menschenmöglicher Wertschätzung hat die Arbeit gar nichts von ihrem Charakter der Last verloren. Dieser «Last-Charakter der Arbeit ist», wie Herbert Marcuse schreibt, «am ehesten einer Mißdeutung ausgesetzt. Er ist schon von Grund aus verfehlt, wenn man ihn auf bestimmte Bedingungen bei der Ausführung der Arbeit, auf die gesellschaftlich-technische Ausgestaltung der Arbeit, auf den Widerstand des Materials usw. zurückführen will. Ebensowenig handelt es sich um ‹Unlustgefühle›, die sich bei bestimmten Arbeiten und Arbeitsweisen einstellen und die dann durch technologische und psychologische Behandlung aufgehoben... werden könnten. Vielmehr: noch vor allen solchen Belastungen durch die Arbeitsweise und Arbeitsgestaltung begegnet die Arbeit als solche schon als ‹Last›, sofern sie das menschliche Tun unter ein fremdes, auferlegtes Gesetz stellt: unter das Gesetz der ‹Sache›, die zu tun ist (und die auch dann eine ‹Sache›, ein anderes als das Leben selbst, bleibt, wenn der Mensch sich seine Arbeit selbst gibt).» Das Wesen der Arbeit ist nicht zu verkennen: selbst noch bei freier Wahl ist sie gleichbedeutend mit Unfreiheit, ist sie bestenfalls deren aktive Ausgestaltung. Soll sie, das Gegenteil von Selbstbestimmung, als höchstes menschliches Gut in Frage kommen, dann tatsächlich nur auf Geheiß Gottes. Und in der Tat verrichtet noch immer nicht jedermann zu jeder Zeit gerne jede Arbeit. Der Widerstand gegen die Erziehung zum animal laborans, wie Hannah Arendt dieses besondere Geschöpf benannte, war stark genug, um Spuren noch im militantesten Arbeitsethos zu hinterlassen. Falls das kirchliche Arbeitsverbot für Sonn- und Feiertage nicht schon von sich aus verrät, daß mit der Arbeit nicht das Süßeste auf dieser Welt verboten wird, so verrät es spätestens die angedrohte Sanktion, wie sie sich besonders anschaulich in der Volkspoesie eines alten Aberglaubens in dem mehrheitlich evangelischen Hessen zum Ausdruck kommt: Wer in Hessen an einem Feiertag eine unerlaubte Arbeit tat, mußte sie nämlich nach seinem Tod in Ewigkeit forttun.
So ist beim protestantischen Arbeitsethos die Moral eine doppelte geblieben, und unter dem Stichwort «Moral, doppelte» zitiert Ritters Historisches Wörterbuch der Philosophie ein Werk mit dem autoritativ anmutenden Titel Die conventionellen Lügen der Kulturmenschheit. Der Autor Max Nordau, ein jüdischer Materialist und politischer Weggefährte Theodor Herzls, weist auf die «zweiseitige Moral» der «Ausbeuter» hin, die den Müßiggang als Laster anprangerten und die Arbeit als Tugend priesen, es aber sorgfältig vermieden, sich selber diesem Moralkodex zu unterwerfen und statt dessen dem Fleißigen den untersten Rang zuwiesen und den Müßiggang zum «Attribut höheren Menschentums und Erkennungszeichen ihres vornehmeren Ranges» erhöben. Der Müßigang war immer nur bei den Armen ein Laster, und das Sprichwort sagt es bündig: «Sobald die Arbeit ist gethan, wird der Knecht ein unwerth Mann» (vrna fit ingratus dum mox opus est operatus).
Vielleicht sollten wir das etwas abgestandene Wasser dieser Doppelmoral nicht wegschütten, bevor wir wissen, wo besseres zu haben ist. Denn wo uns die protestantische Aufwertung der Arbeit, zum Nennwert genommen, hinführen muß, lesen wir in Hannah Arendts Buch Vita activa: sie hat nämlich «nicht zur Folge gehabt, daß man die Arbeitstätigkeit als gleichwertig und gleichberechtigt mit allen anderen menschlichen Tätigkeiten der Vita activa ansetzt, sondern hat zu ihrer unbestrittenen Vorherrschaft geführt». Jede andere Aktivität findet sich dadurch, so Arendt, zum Hobby degradiert. «Die überschüssige Zeit des Animal laborans wird niemals für etwas anderes verbraucht als Konsumieren», und die Konsequenz daraus lautet, «daß schließlich alle Gegenstände der Welt, die sogenannten Kulturgegenstände wie die Gebrauchsobjekte, dem Verzehr und der Vernichtung anheimfallen.»
Es kann hie und da gut tun und ist wohl auch wichtig zu wissen, daß sich für den größeren Teil ihrer Geschichte die Menschen gegen die Zumutungen der Arbeit verwahrt haben und nicht zu jeder Zeit soviel als möglich davon gesucht haben. Calvin zum Trotz wird dieser Umstand am Tag des Gerichts nicht zu Ungunsten, sondern zu Gunsten des Geschlechts Adams in die Waagschale fallen, wenn auch freilich ein gesundes Maß an Arbeitsscheu allein noch nicht alle Probleme der Welt erledigt. Denn wie der Gefährte des Kolumbus aus der Sonnenstadt berichtet, haben deren Einwohner schon vor der Entdeckung Amerikas und vor Luther erkannt, «daß die Welt sehr verderbt sei und die Menschen ihre Regierung unsinnig und nicht vernunftgemäß betreiben, so daß die Guten leiden und die Schlechten herrschen».