Erfolgsmodell Sonne. Ein Lobgesang
The sun came up upon the left,
Out of the sea came he!
And he shone bright, and on the right
Went down into the sea.
Samuel T. Coleridge
Mit eigenen Augen haben wir uns überzeugt, da ist Raum für manchen Sonnenaufunduntergang, das Meer ist grenzenlos, und der Durchmesser der Sonne mißt nur 109 Mal den äquatorialen Erddurchmesser. Wer im Auto mit 100 km/h einmal um die Sonne fahren wollte und dies könnte, wenn die Oberfläche trüge und darauf nicht Temperaturen um 5500°C herrschten, der schaffte es; nicht wie auf der Erde in 407 Stunden oder 16 Tagen und 23 Stunden, sondern in 44’459 Stunden oder 5 Jahren und 27 Tagen; aber doch. Unser Auto bewegt sich, etwas vereinfacht gesprochen, erst in einer von drei Dimensionen, nämlich gerade aus. Die zweite Dimension läßt die Größenunterschiede wachsen, und auf der Sonnenoberfläche, 11’908 Mal die Erdoberfläche, wäre Platz für mindestens 2 Millionen Erdenländer (mit ein- bis zweihunderttausend Kriegen). Angesichts ihres Volumens von rund 1,3 Millionen Erdvolumen nimmt sich die Masse der Sonne schon wieder relativ bescheiden aus: 333’000 Erdmassen. Die safrangelbe Sonne ist, wir meinen es zu sehen, aus leichterem Stoff gemacht, zu etwa 75% aus Wasserstoff und zu rund 23% aus Helium, nur zu zwei Prozent aus schwererem Stoff. Bei einer Masse wie der Sonne komprimiert die Schwerkraft diese beiden leichtesten unter den chemischen Elementen und erhitzt sie im Kern der Kugel auf ungefähr 15’000’000°C; trotzdem wiegt ein Kubikmeter dieses Gasballs im Mittel nur ein Viertel eines mittleren Kubimeters des Planeten Erde. Doch wir sollten uns nicht täuschen lassen. Zwar gibt es in unserem Sonnensystem erheblich größere Planeten als die Erde. Der Saturn hat 95 Erdmassen, der Jupiter gar deren 318. Aber der Pluto zum Beispiel mit knapp zwei Dritteln Monddurchmesser und seiner geringen Dichte hat nur 0,2% unserer Erdmasse, und alle neun Planeten mit ihren insgesamt gut 60 Monden, zuzüglich mehrerer tausend Planetoiden und einiger Milliarden Kometen, bringen es zusammen auf nicht mehr als 450 Erdmassen, woraus sich errechnen läßt, daß der Anteil der Sonne an der Gesamtmasse unseres Sonnensystems etwa 99,86% beträgt.
Die Erde ist halt doch ein Raumschiff, wenn man denkt. Und Wasser, wie wir es verwenden, gibt es nur unter 100°C und unter 0°C auch nicht, weshalb es auf dem Neptun-Mond Triton mit seiner Außentemperatur von -236°C kein fließendes Wasser gibt. Auf der Erde gibt es Wasser in allen drei Aggregatszuständen zur gleichen Zeit und unter natürlichen Bedingungen, das einzige Material, von dem sich dies behaupten läßt, das universalste Lösungsmittel im Kosmos, der leistungsfähigste natürliche Wärmespeicher, ein seltsames Material, das in festem Zustand weniger dicht und deshalb leichter ist als in flüssigem und gefroren auf sich selber schwimmt, so daß wir alle darauf spazieren gehen können und Schlittschuh laufen – eine Anomalie auch das, wenn nicht vielleicht ganz einzigartig, wie übrigens der Gefrierpunkt des Wassers, den Physiker und Chemiker aufgrund seiner anderen Eigenschaften viel tiefer vermuten müßten – und den Siedepunkt genauso.
Das organische Leben hängt von diesen Besonderheiten ab, wie auch vom Umstand, daß das Wasser Tropfen bildet, die obendrein haften bleiben. Ganz verstanden ist das alles nicht bis heute, und es ist fast, als täte es das Wasser uns zuliebe, was als ein eigentliches Wunder zu bewerten ist, obschon man sich vor Wundern in Acht nehmen sollte, verstoßen sie doch gegen alle Regeln und sind darin einem Verbrechen verwandt. Besser erfinden hätte das Wasser trotzdem niemand können, und circa 1400 Trillionen oder Milliarden Milliarden Liter haben wir davon im Raumschiff Erde, wenn auch nicht immer da, wo man es finden möchte. Sonne dagegen gibt es überall, am meisten auf der Venus und dem Merkur, wo auf der sonnenzugewandten Seite die Temperatur gut über 400°C beträgt. Wir halten etwas mehr Distanz zum Leitgestirn, im Mittel 149,6 Mio. km, etwas über 7 Lichtminuten oder 21 Jahre und gut vier Monate im Düsenflugzeug. Eine blaue Murmel von 1cm Durchmesser bewegt sich im Abstand von 117m um einen Ball von 1,09 m Durchmesser. So hat man sich das vorzustellen, etwas über 600 Meter von ihr dreht Jupiter, 11 cm dick, eine Pampelmuse, in etwas weniger als 12 Jahren seine Runde und 5 km weiter draußen, mit einer Umlaufzeit von 248 Jahren, ein unterkühlter Stecknadelkopf von 1,8 mm Durchmesser, der Pluto, nicht zu vergessen sein Trabant Charon. Ein Tag, das heißt eine volle Drehung um die eigene Achse, dauert auf dem Pluto 6387 Erdentage oder 17 Jahre und 6 Monate. Die mittlere Geschwindigkeit der Erde aber, auf ihrer circa 940 Mio. km langen Jahresreise, beträgt 107’280 km/h. Dreieinhalb Stunden hätten wir bei derselben Geschwindigkeit zum Mond.
In gewisser Weise ist sie tatsächlich eine Scheibe und keine Kugel, die Welt, wenn wir damit unser Sonnensystem meinen. Die Umlaufbahnen der übrigen Planeten weichen nur um wenige Grad von der Ebene ab, die die Umlaufbahn der Erde bildet – 1,85° der Mars, 1,30° der Jupiter, 3,39° die Venus, 7,00° der Merkur, nur 0,77° der Uranus, 17,14° Pluto. Dennoch ist in dieser Welt eine Vielzahl von Bewegungen möglich. Während der Komet Halley alle 76 Jahre wieder sich uns und der Sonne nähert, tun typische Kometen das nur alle paar Millionen Jahre und legen in der Zwischenzeit Strecken zurück, die sie bei geradliniger Flugbahn zum nächstgelegenen Fixstern Alpha Centauri bringen könnten, der 4,3 Lichtjahre von uns entfernt ist.
Ja, Sonnen gab und gibt es viele. Manche davon sind größer, bis zu 2000 Mal im Durchmesser, das heißt 8 Milliarden Mal im Volumen, manche messen nur einige Kilometer im Durchmesser und sind mit nur einem Hundertstel von deren Masse etwa 10 Millionen Mal dichter als die Sonne, so daß dort ein Kubikdezimeter Masse 10’000 Tonnen wiegen würde, wenn man für einmal so sagen darf. Doch unsere Sonne – oder ist sie nicht unsere? – gilt unter Astronomen als durchschnittliches Geschöpf. Sonnen gibt es in unserer Galaxie, der Milchstraße, wie sie heißt, rund 100 Milliarden, und Galaxien gibt es im beobachtbaren Teil des Universums mindestens ebenso viele.
Vielen Menschen seien solche Zahlen fremd, hört man, und weiß nicht immer recht, warum. Auf der Erde haben wir zwischen 200 und 400 Milliarden Vögel, von den 10’000’000’000’000’000 Ameisen zu schweigen und den Bienen, das sind vielleicht 50 Vögel – nebst 500 Bäumen – pro Kopf der Weltbevölkerung, die 6 Milliarden zählt, und jährlich werden in den USA etwa 8 Milliarden Tiere zum Verzehr geschlachtet, mehr als 250 pro Sekunde. Selbst wenn es da draußen also, wo viel Raum ist, etwa 10’000 Milliarden Milliarden Sonnen gibt, 10’000 Trillionen könnte man auch sagen, so sind das nicht mehr als 10’000 Sonnen pro Tier auf unserer Erde, wo es etwa 1 Trillion oder 1 Milliarde Milliarden Tiere gibt, etwa 167 Millionen (die Einwohnerzahl Brasiliens) pro Kopf der menschlichen Bevölkerung. Zuviel kann das nicht sein, denn die gesamte Biomasse auf der Erde wiegt nur etwa sechsmal so viel wie der Mount Everest mit seinen 300 Milliarden Tonnen, 99% davon pflanzlicher Natur, das Schwerste darunter tropische Regenwälder.
Von vielem gibt es eine große Stückzahl, das dürfte uns nicht erstaunen, sehen wir doch viele Vögel an sehr vielen Orten, und seit wann verhielte sich das ausgerechnet mit den Sternen anders, die schon im Orient der 1001 Nächte als geradezu unzählig galten. «Wie der stellvertretende Parlamentsvorsitzende Ileo erklärt, sollen sich in Mobutus Staatsschatz mindestens 8800 Milliarden Zaïres in alten Noten finden...» – wohl über 20 Millionen Noten müssen das gewesen sein, damals 1993, obschon die Summe von 8800 Milliarden Zaïres nur rund 4 Millionen Dollar wert war und ein Zaïre damit 0,000045 oder viereinhalb Hunderttausendstel – nein, nicht Dollar, sondern Cent. Nicht nur beim Geld: Viel größer als das Große kann das Kleine sein. 10’000 Trillionen Sterne? Die Redaktionskollegin Annette Scharnberg, wie ein jeder unter uns, besteht aus deutlich mehr als 10 Milliarden Trillionen Atomen, ein wahrhafter Kosmos aus der Hansestadt Hamburg, und ersichtlich ist die Zahl der Sterne ein geringer Bruchteil dieser Zahl, nämlich 0,000001 oder 1 Millionstel. Auf der Haut hat sie, wie ein jeder von uns, über 300 Millionen Bakterien, im Dickdarm 70’000 Milliarden, so viele wie in 700’000 Mündern, wo auch sie rund 100 Millionen von 300 Arten hat, so viele wie Mexiko (oder Deutschland, Österreich und die Schweiz zusammen) Einwohner. Es gibt entschieden mehr im All als nur die Sterne dieses einen Universums. Schließlich sind Frau Scharnbergs ein geringer Bruchteil aller Bakterien, von denen es auf der Erde so viele gibt wie Sterne in 600 Millionen Universen vom Format des unseren. Aber da kommen wir vom Hundertsten ins Tausendste.
Und die Sonne – ja, auch sie – bewegt sich doch, obwohl man öfters hörte, sie stehe in besonderen Momenten still. Über fünf Milliarden Jahre ist sie alt, doch was ist das, solange nur die Zeit, wie wir gewöhnlich denken, für sich allein unendlich lange dauert. Zunächst rotiert sie um die eigene Achse, einer Schallplatte oder CD vergleichbar, aber wie es sich für sie als Gasball schickt, tut sie es am schnellsten, eine Umdrehung in 24 Tagen, am Äquator; in Polennähe braucht sie dazu mehr Zeit, 36 Tage. Nein, sie ist kein fester Körper, und außerdem pulsiert sie, alle 2 Stunden und 40 Minuten hebt und senkt sich ihre Oberfläche um etwa 4km. Manchmal, sagen sie in Böhmen, zeigt sie sich da, wo sie nicht ist. Bayern kommt sie nicht zu nahe, sonst wird sie in den Stall gesperrt, daß der schön warm bleibt rund ums Jahr. In Franken schlägt der Bauer mit der Schaufel nach ihr, caramba! – und das schon Stunden vor der Mittagsglut. Ein ganz klein wenig, man sieht es nicht von bloßem Auge, wackelt sie, da aus der Ferne die Planeten an ihr rütteln. 5 Millionen Tonnen Materie verwandelt sie in Energie pro Sekunde, in 17 Stunden mehr als den Mount Everest. Ein Misthaufen, scheint sie auf ihn, tut was er kann und antwortet mit Gestank, sogar in Griechenland, wo sie ein Gott war, reich mit Pfeilen ausgestattet, und – wie im Süden meistenteils – ein Mann, man denke doch, Helios, der alles sah und hörte und bei Eiden gern als Zeuge aufgerufen wurde. Noch heute wissen wir, wie er einst ausgesehen hat, dank seiner eifersüchtigen Geliebten Klytia, der Sonnenblume, die ihn überall verpetzte.
Tönt sie? Was hört, wer ihr sich nähert? Summt sie erst, die interkontinentale Biene? Und brummt dann? Ehe sie ihren Abstieg fortsetzt in die Unterwelt, grüßt sie uns flammend – und manchmal etwas exaltiert – am Horizont, läßt sich kurz darauf in ihrem goldnen Nachen nieder und fährt heim. Ist die Nacht zu ungeheuer tief, dann streckt sie gern («Mehr Licht! Mehr Licht!») den Mond zum Himmel – ein Teddybär der Marke Steiff, der sie vor Gespenstern und anderen zu langen Schatten schützt und durch das Nordmeer unversehrt gen Morgen bringt, wo sie wie alle Tage neu geboren wird. Gesagt getan!
Und sie kam zum Schluß, die Sonne,
Gewiß sei es am besten,
Sie rolle jetzt nach Westen,
War zu allein, die alte Nonne.
Nackt stieg sie aus der finstren Tonne,
Ganz unverschämt vor Wonne,
Küßte den Tag und trug ihn aus dem Osten,
Auf daß wir alle, alle, alle von ihm kosten.
Hilfsmittel: Encyclopaedia Britannica, www.britannica.com. Michael Gleich u.a.: Life Counts – Eine globale Bilanz des Lebens, Berlin 2000.