Israel einsam wie noch nie
Ariel Scharon führt Krieg. Worin ein Sieg bestehen könnte, weiß niemand anzugeben. In der Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus den besetzten Gebieten? Um den Preis einer Gesamtmobilmachung auf alle Ewigkeit – von gegenwärtig 5 Millionen Juden gegen 250 Millionen Araber?
Rückgabe aller 1967 besetzten Gebiete gegen Normalisierung der Beziehungen zu allen arabischen Ländern: Der Vorstoß Prinz Abdullahs, de facto Herrscher Saudi-Arabiens, ist keine neue – auch keine neue arabische – Idee, noch wird sie dieses Mal die arabische Welt einigen, noch irgendeines der Probleme lösen, die der so bös entgleiste israelisch-palästinensische Friedensprozess einst in Angriff nahm.
Keiner seiner führenden Repräsentanten hätte es sich bis heute leisten können, auf die unermüdliche Beteuerung zu verzichten, dass sich Israel in seinem Überlebenskampf so oder so nur wird behaupten können. Das ist nicht nur ein gefährlicher Irrtum, sondern die Lebenslüge eines Volks von Exilierten, dessen gewählte Regierung einen resoluten Kurs der Selbstzerstörung eingeschlagen hat. In seiner geopolitischen Lage wird der Staat Israel seine Existenz nur durch eine konstruktive Rolle dauerhaft absichern können; gegen eine zu allem entschlossene arabische Welt wird er sich letzten Endes weder aus eigener Kraft noch von Freundeshand verteidigen lassen. Die Aussichten, dass der ethnisch definierte Judenstaat langfristig überleben wird, hängen von zweierlei ab: Von den sozialen und politischen Entwicklungen in Israel einerseits und in der Umgebung andererseits.
In der Umgebung gilt die erste große Frage nach wie vor der Stabilität Ägyptens. Während der sklerotische Klerus der Azhar-Universität weiterhin mobilmacht, hält das Regime der Armee von Demokratie nach wie vor wenig und die laizistischen Kräfte der Opposition unter dem Daumen. Gewinnt es auch die nächsten Kriege gegen den islamischen Extremismus und bleibt langfristig für zweieinhalb Milliarden Dollar jährlicher Hilfe der Friedenspartner von Camp David?
Die Dynastie der Familie Saud ihrerseits hatte schon zu Nassers Zeiten gegen die Existenz Israels weniger einzuwenden als gegen den panarabischen Nationalistenführer selber. Viele arabische Beobachter halten die Tage des Königshauses für gezählt. Werden die politischen Verhältnisse auf der arabischen Halbinsel in nicht so ferner Zeit eher denen im totalitären Schraubstock Irak gleichen oder in einem technologisch avancierten Emirat von Koranschülern à la Taliban? Oder wird die nicht zu ferne Zukunft den Weg zu einer gerechteren Verteilung des arabischen Ölreichtums weisen, der neben Rüstung auch Entwicklung zulässt? Wenn nicht, werden es nicht die Palästinenser sein, die Israel das Leben schwer machen, sondern eines Tages vielleicht doch geeinte Anhänger Saddams und Ben Ladens.
Auf der anderen Seite Israel: Nach den massiven demographischen und politischen Verschiebungen seit dem Fall des Sowjetimperiums macht sich in Israel unter Regierungskritikern der Eindruck breit, dass der sich so aggressiv verteidigende Staat zum Frieden höchsten noch gezwungen werden kann, wenn er nicht demokratisch legitimiert in den Abgrund schlingern soll. Doch wer käme da in Frage? Die texanischen Ölmagnaten im Weißen Haus mit ihren reaktionären arabischen Partnern ebenso wenig, schaut es derzeit aus, wie ihre Konkurrenten, die Demokraten in ihrer Abhängigkeit von den amerikanischen Juden. Europa? «Kämpfe, Europa!» ruft Daniel Cohn-Bendit dem alten Kontinent zu. Leider sieht sich Europa schon mit Bosnien und Kosovo überfordert. War Israel mit seinen Problemen schon einmal so alleine?