Sklaverei in Ewigkeit
Wie viele Menschen leben zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Sklaverei? Nach Schätzungen von Forschern sind es zwischen 25 und 30 Millionen, vielleicht zwei Drittel von ihnen in Südasien. Im Sudan und in Mauretanien bringen sie ihr Leben in Haushalten oder, wie einst in der Neuen Welt, unter härtesten Bedingungen im Feldbau zu. In der Dominikanischen Republik schneiden sie Zuckerrohr, formell in Sklaverei auf Zeit, wobei jedoch die stets erneuerte Verschuldung ihre Lösung aus dem Abhängigkeitsverhältnis vereitelt. Besonders weit verbreitet ist diese sogenannte Kontraktarbeit auf dem indischen Subkontinent. In Südostasien, aus nördlichen Dörfern Thailands etwa, werden Mädchen in die Prostitution verkauft und nach der HIV-Infektion nach Hause zurückgesandt, wo sie in Schande sterben.
Auch in den hochentwickelten Ländern des Westen wachsen die Scharen, jährlich Hunderttausende, die mit falschen Versprechungen eingeschmuggelt werden und sich ohne Papiere und Entgelt in Haushalten oder Bordellen wiederfinden, auf Farmen oder in den Fertigungsbrigaden von Halsabschneiderbetrieben. Die CIA schätzt die Zahl allein der Frauen und Kinder, die illegal in die USA gebracht werden, auf 45'000 jährlich.
Gewiss, in jeder Geschichte des Sklavenhandels liest man es: Nur einige wenige ausgewählte Regionen, fast nur das nördliche Europa und Nordamerika, waren in der Geschichte jemals völlig frei von dieser Unfreiheit der höchsten Stufe, und auch sie nur während höchstens einiger weniger Jahrhunderte. Doch erstens stellt auch die uneingeschränkte Salonfähigkeit ihrer Missachtung die Menschenwürde nicht wieder her. Und zweitens liegt der Skandal darin, dass die Sklaverei heute weltweit wieder auf dem Vormarsch ist, während zugleich die Zahl der Menschen, die in äußerster Armut leben, wächst. Wären es nicht andere, die kassieren, würden viele sich selbst feilbieten, was alles nicht besser, sondern ärger macht und ein grelles Licht auf die Lage der Betroffenen wirft. Zu einem größeren Anteil wohl als in gewissen anderen Epochen werden sie heute Eigentum von Herren ihrer eigenen Gesellschaft. Das muss ihr Los nicht unbedingt verschlimmern, stellt jedoch der fraglichen Gesellschaft ein um so beschämenderes Zeugnis aus, zumal weitenteils – nicht anders als zur hohen Zeit des transatlantischen Menschenhandels – für die Gefügigkeit der Opfer mit Gewalt und Drohungen gesorgt wird.
Der Kampf gegen die Sklaverei bleibt auf absehbare Zeit wenn nicht aussichtslos, so schwierig. Wo Frauen ohne Rechte sind, ist das drängendste Problem noch nicht einmal die käufliche Behörde, denn einer gefährlichen und hinterhältigen Illusion zum Trotz und Hohn muss das Menschseins nicht erst abgesprochen werden, damit diese Qualifikation leer und nichtig ist. Zuallererst wäre sie zuzusprechen. Stattdessen bleiben Rechte eine teure, da ja auch kostbare Habe. Doch selbst in Ländern, wo der Rechtsstaat mehr als nur Buchstabe ist, werden Ahndung und angemessene Bestrafung von Menschenhandel und Sklavenhaltung erschwert durch lückenhafte gesetzliche Grundlagen. Schon die Definition des Tatbestandes ist voller Tücken, worauf der Täter setzen kann. Was Abhängigkeit total macht, ist zudem ihre totale Einseitigkeit. Ist nicht mancher Sklave frei zu gehen, wohin er will, wenn er bloß könnte? Er ist nicht mehr rechtmäßiges Eigentum. Noch immer oftmals illegal auf fremdem Boden, ist er nicht nur seinem Herrn gegenüber schutzlos. Auch dem Staat gilt er als rechtloses Subjekt, ein Fall zur Kenntnisnahme allein zwecks seiner Deportation. Wieder einmal trifft die Strafe, dafür aber doppelt, das unglückselige Opfer.