Nicht genug dumm

Von Georg Brunold, du NO NEWS, 01.11.2001

«Dumm». Liegt es am Ohr, oder hat man nicht doch zu vermuten, dass es am Wort selber liegt, wenn es und der damit bezeichnete Begriff an eine in ihrem Wesen passive Disposition denken lässt? Als handle es sich bei der Dummheit lediglich um ein Versagen, eine Schwäche auf der Seite zunächst des Aufnahmevermögens und in der Folge dann auch des Denkvermögens.

Wenn der Klugheit, wie schon Aristoteles lehrte, keine Obergrenze gesetzt ist, dann hätte das, könnte man meinen, ebenso für die Dummheit zu gelten. Doch die quantitative Betrachtung unbeschränkter Steigerungsmöglichkeiten erscheint in dieser Frage nicht ganz befriedigend und zudem in Widersprüche zu führen. Wenn sich das Ganze auf ein und derselben Skala bewegt und es von der Klugheit kein Übermaß geben kann, dann ergibt sich daraus noch nicht, dass auch dem Mangel an Klugheit – diesem Untermaß namens Dummheit – keine Grenzen gesetzt sind. Ist die Grenze auf dieser Seite der Skala nicht einfach Null? Gibt es einen Mangel im Übermaß?

Überhaupt: Die Vorstellung des passiven Mangels, die das Wort mit sich führt, verstellt den Blick auf die Natur der Dummheit und verharmlost sie. Denn leider versagt die Dummheit weit weniger häufig als die Klugheit.

Davon abgesehen, dass auch die Organe der Perzeption, des Aufnahmevermögens, keine passiven Antennen sind, dass bereits Wahrnehmung und Auffassungskraft ihrer eigenen, durchaus vitalen Motorik unterliegen, kommt die Dummheit erst recht in den Blick, wenn sie in Aktion tritt, wenn sie ihre unwiderruflichen Leistungen aneinanderfügt, diese nicht nur addiert, sondern multipliziert, potenziert. Das Ganze zeigt dann deutliche Neigungen, über die Summe der Teile beträchtlich hinauszuschießen.

Dazu kommt, dass die alte Tugend der Klugheit, die von Zeitgenossen gerne Intelligenz genannt wird, nicht immer von sich aus in Aktion tritt, nicht immer automatisch und alleine von sich Gebrauch macht. Es ist übrigens fraglich und bis heute umstritten, ob es von ihr tatsächlich kein Übermaß geben kann. Aber im Augenblick kommt es nicht darauf an, denn es geht nicht um die Klugheit, sondern um die Dummheit, die eben nicht bloß ein geringes Maß der ersteren ist, sondern sich davon noch in anderen Hinsichten unterscheidet. An der Klugheit nämlich fällt immer wieder auf, wie sie auf das Zusammenwirken mit anderen Tugenden angewiesen bleibt, und mit Erschrecken ist festzustellen, dass sie ohne diese oft völlig aufgeschmissen ist. Anders die Dummheit. Die Dummheit ist weniger von anderen Gaben abhängig. Sie scheint fast jederzeit in der Lage, spontan und ganz in eigener Regie von sich Gebrauch zu machen, und es gibt Leute, die eine recht eigentlich dynamische, ja manchmal eine berserkerhafte, auftrumpfende Dummheit an den Tag legen, wofür das landläufige Wort nicht genügt. Angesichts der Dummheit und ihrer Exzesse muss selbst ein Wort wie «dumm» in seiner Hilflosigkeit etwas dümmlich klingen, bei weitem jedenfalls nicht genug dumm.