Rwanda und Kofpweh in Bern

Von Georg Brunold, du NO NEWS, 01.09.2001

Eine Million Tote, 10’000 im Tagesdurchschnitt drei Monate lang, auf staatliche Anordnung mit Macheten erschlagen, während sich als einzige Kraft die Rebellenarmee des Front patriotique rwandais dem Massenmorden entgegenstellte und ihm schließlich ein Ende bereitete. Die internationale sogenannte Gemeinschaft, die es geschehen ließ, hat es vergessen, ja nie eigentlich zur Kenntnis genommen.

Bis zum Genozid von 1994 war die Schweiz in Ruanda lange Jahre stark engagiert, als noch ein jeder Ruander von Geburt Mitglied der Einheits- und Staatspartei war und «Hutu» und «Tutsi» – letzteres ähnlich dem Judenstempel – im Ausweispapier figurierten. (Es handelte sich dabei weder um eine biologische noch auch nur um eine «ethnisch» zu nennende Spezifizierung, sondern um eine Art staatlich sanktionierte Kasten.) Noch zwei Jahre vor dem Genozid ging aus der Berner Bundeskasse ein Professorengehalt an einen Schweizer Wirtschaftsberater des Präsidenten Habyarimana, dessen Clique spätestens ab 1992 mit exakt der Drohung, die sie 1994 in die Tat umsetzte, ihre Macht abzusichern suchte. Die christliche Verkündigung in Ruanda lautete derweilen: «L'ONAPO, c'est le diable!!», da das Office national de la population angesichts der äußerst kritischen Bevölkerungsdichte Ideen von Familienplanung unter die Leute bringen wollte. Dafür beteiligte sich dieselbe von Schweizer Dominikanern aufgebaute und bis 1994 geleitete Kirche am Genozid.

Während der Vorbereitung der Apokalypse also hat man bis zuletzt – wie soll man sagen? – partnerschaftlich aktiv ausgeharrt. Nun auch noch eine Kosten bereitende Beteiligung beim Wiederbelebungsversuch? Den humanitären Tropf kann man mit Anstand nicht absetzen. Soll aber und will die Schweiz die auf ein Minimum reduzierte Entwicklungszusammenarbeit mit dem ehemaligen Schwerpunktland erneut verstärken? In Bern, wo die Entscheidung mehrmals vertagt worden ist, hadern die zuständigen Stellen.

Nicht dass es so ist – doch wäre es nicht am einfachsten, man hätte in Ruanda schlicht keinen Partner mehr? Der Wunsch als des Gedankens Vater verschafft höchst ominösen Stimmen Gehör, vornehmlich aus Kreisen des enteigneten Personals der Kooperation von ehedem. Für sie scheint, ähnlich wie für die französische Regierung damals, das Schlimmste an der totalitären Tyrannei der Habyarimana-Clique bis hin zum Genozid deren Niederlage gewesen zu sein. Mit «kritischem» Tonfall und «skeptischer» Mimik denunziert man die autoritären Züge der Regierung des Front patriotique, die das Vermächtnis des beispiellosen Schreckens von 1994 zu verwalten hat. Waren das nicht schon die Leute gewesen, die 1990 mit ihrer Invasion diese gefährliche Unruhe in Habyarimanas Staat gebracht hatten? Neuestens wird ihnen ein Strick gedreht aus ihren Beutezügen im Kongo, faktisch ein Kriegsgegner des Front patriotique, seit es diesen gibt. Kein Wort davon, dass unter den sechs im Kongo militärisch involvierten fremden Mächten als einzige Ruanda leider Interessen geltend machen muss, deren Legitimität keinem Zweifel unterliegt. Den 30’000 ruandischen Soldaten im großen Nachbarland stehen immer noch 60’000 Interahamwe-Milizionäre gegenüber, die nach wie vor den Genozid zu Ende bringen wollen. Auch zu Hause in Ruanda, so die eilfertige Belehrung, ist good governance nicht eine Angelegenheit von Sachfragen, sondern endlich von demokratischer Legitimation, die ausgerechnet hier – erstmals in Afrika – mit aller Entschiedenheit zu fordern wäre. Am leichtesten ist wieder einmal das Opfer bestraft, von dem verlangt wird, was vom Täter niemand verlangt hat. Wollte man es doch endlich besser machen, nicht wahr.