Schon ohne Populisten
Schon länger will es nicht mehr so, wie manche es sich wünschen, aufwärts gehen. Jedenfalls nicht für sie. Da sich in unserer Wohlstandswelt ein ökonomisches Rezept dagegen, wie man hört, nicht finden lässt, hat die Linke keines oder weiß es nicht an den Mann zu bringen. Es sei denn, sie regiert und gleicht darin der traditionellen Rechten, der es recht ist, wie es ist, denn sie steht ja dafür ein. Trotzdem: So, wie sie es haben, passt es vielen Bürgern nicht. Opposition ist heute populär, und wo dafür kein Raum ist, okkupieren ihn die Populisten, denn wo kein Fortschritt möglich ist, führt aus dem Stillstand doch der Rückschritt, die Reaktion oder – mit einem Wort der Psychologen – die Regression.
«Product-improved fascism» nennt es der Strategie-Experte Edward Luttwak – weder ein Linker noch ein Oppositioneller – in seinem Buch Turbo-Capitalism. Freilich verlangt nur wenige mehr nach einem ganzen deutschen Stahlgewitter, die zeitgemäße Kleinfamilie hat die Produktion von Kanonenfutter gedrosselt, man will die Söhne von der Front zurück. Die Bequemlichkeit hat den Hass gezähmt, dieses wohlfeile starke und mächtige Gefühl. Doch aus der Welt geschafft ist er so wenig wie seine Quelle: die Frustration, die aufgestaut den Treibstoff aller Meutereien, Revolten und Revolutionen liefert. Der Sozialismus, selbst wenn an seinem Welt- und Menschenbild alles falsch sein mochte, war in seinen Impulsen rational, so sagte Borges, weiß Gott kein Sozialist; der Faschismus dagegen sentimental.
So wird, vor allem bei den unteren Bildungsschichten, weiterhin mobil gemacht, gegen Ausländer nach unten und nach oben gegen angestammte Eliten, deren Meinungen, Gewohnheiten und Werte, deren Zugang zu Regierungsämtern und deren – wenn es dazu kommt – Konsens darüber, wie ein Staatsgeschäft behandelt werden sollte. Haider, Blocher, Bossi, Le Pen – ihr Feindbild ist dasselbe: die «classe politique», die Vertreter der «Schwatzbuden» namens Parlament und Kabinett. Das Geld dagegen macht nicht immer die Eliten, dafür aber – als ihr großer Traum – auch kleinere Leute aus. Die Scharfmacher, mit denen es sich gern verbündet, dürfen es daher – haben sie doch zudem recht, nicht wahr- in eigener Person verkörpern.
Außer sich sein ist nicht in jedem Fall bereits die Lösung des Problems, doch wo war das die Absicht? Fehlt nebst dreißigjährigen Pflastersteinen nur noch ein Kulturminister, der künstlich befruchteten Eizellen die unantastbare Menschenwürde oder das unveräußerliche Menschenrecht auf Leben abspricht, und durch Deutschland geht ein «ethisches» Zetermordio. Führende liberale Meinungsblätter, die das überhaupt nicht wollten, machen sich eine Argumentation zu eigen, die einst bekannt war als die des Papstes in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs und die nun ihre Radikalisierung findet. Fehlt eine Portion Genmais, BSE, Hormonfleisch, abgereicherter Uranmunition und anderer medial aufbereiteter Verwirrung. Die Wissenschaft klärt auf: Sechs Leukämiefälle auf 60000 italienische Nato-Soldaten – das ist weniger, als die mittlere Häufigkeit von 10,8 Fällen auf 60000 beliebige Männer erwarten lässt. Ein Zusammenhang besteht da also nicht. Auf der Stelle findet ein Labor in dieser Munition Plutoniumspuren! Der nächste Organskandal folgt tags darauf, und in unserer Fertigsuppe haben wir schon wieder Hühnerfleisch mit Dioxin. Wir haben keine Ahnung, und das gibt uns eine! In allem ist der Wurm und nur noch er. Die ganze Politik und Welt ist ein einziger Saustall, schon ohne Populisten! Die letzteren hebt nicht einmal heraus, dass sie daraus Profit zu schlagen wissen. Zu viele legen sich ins Zeug, es ihnen nachzutun.