Unsterblich am Tage des Gerichts

Von Georg Brunold, du NO NEWS, 01.09.2000

«Unser Schicksal auf der Erde und unser Schicksal in der Galaxis scheinen unlösbar miteinander verbunden.» So kürzlich die F.A.Z., und man wird es glauben müssen. Denn «selbst wenn wir zu den Sternen flüchten, ist es nicht wahrscheinlich, dass wir die Probleme mit uns nehmen oder dass sie uns folgen?» Sehr. Die Technik macht ihren Urheber, den Menschen, immerfort gefährlicher, während seine Lebenserwartung im globalen Durchschnitt weiter zunimmt.

Bei der fortgesetzten Leistungssteigerung unserer Computer, die bis im Jahr 2030 die Kapazität des menschlichen Gehirns erreichen sollen, seien technologische Entwicklungen absehbar, hört man von der Front der Wissenschaft, die einigen intensiv betreuten Exemplaren der Gattung erlauben werden, nahezu Unsterblichkeit zu erlangen. Zugleich wird eine Teufelsküche von Robotik, Gen- und Nanotechnik einer unabsehbar wachsenden Zahl von Individuen Waffen in die Hand geben, die eine unvergleichbar größere Gefahr darstellen als die nuklearen Arsenale des Kalten Kriegs. Saddam mag nicht nur sich selber klonen, sondern auch pathogene Designer-Mikroorganismen, die nur Helläugige attackieren.

«Diese Technologien sind zu mächtig, als dass wir uns in der zur Verfügung stehenden Zeit vor ihnen schützen könnten.» So Bill Joy, der Chief Scientist von Sun Microsystems, dessen Artikel die F.A.Z. von «Wired» übernommen hat. Selbst wenn wir dagegen «Schutzschilde entwickeln könnten, wären die Nebenwirkungen ihrer Entwicklung mindestens so gefährlich wie die Technologien, vor denen sie uns schützen sollen.» Das System widerlegt progressiv sich selber, und «die einzige realistische Alternative, die ich», sagt Joy, «sehe, lautet Verzicht: Wir müssen auf die Entwicklung allzu gefährlicher Technologien verzichten und unserer Suche nach bestimmten Formen des Wissens Grenzen setzen.»

Haben Menschen eines nie vermocht, dann dies. Joy selber: «Ideen lassen sich nicht wieder zurück in die Büchse» – immer der Pandora – «stopfen;... Wenn sie heraus sind, sind sie heraus.» Anders als Uran und Plutonium sind sie zudem kopierbar. Und da man verzichten immer nur selber kann, die Wirkung des freien Willens sich nicht auf Rivalen erstreckt, lässt sich Joys Betrachtungen nur ein Rezept entnehmen: das eines planetarischen Polizeiregimes, das selektiv Ideen eliminiert und Wissenszuwachs unterbindet. Wenn wir nicht, wozu wir Joy zufolge schon in fünfzig Jahren gezwungen sein könnten, unser Sonnensystem verlassen wollen – ein Schritt, der seinerseits weitere Technologien erfordert, mächtiger als die Macht unserer Kontrolle darüber.

Jaron Lanier, ebenfalls ein einflussreicher amerikanischer Computertechniker, entwirft ein anderes Szenario. Nur die Hardware unserer Computer lässt Leistungssteigerungen in bisheriger Geschwindigkeit erwarten, keineswegs aber die heillos auf der Strecke gebliebene Software, die bald – schon 2020 – den letzten Erdbewohner mit Reparaturarbeiten auszulasten verspricht. «Ein ganzer Planet voller Helpdesks, Computer- Feuerwehren und Support-Stationen», und «die Verwirklichung des sozialistischen Traums von der Vollbeschäftigung mit kapitalistischen Mitteln». Schon die Behebung des Millenium-Bug hat rund 250 Milliarden Dollar gekostet. «Ein großer Absturz von Windows mag unsere einzige Rettung sein, wenn die neugeborene Rasse der Roboter sich einmal anschicken wird, die Menschheit endgültig aufzufressen! Die armen Roboter» – nicht einmal sie sind vor uns sicher – «werden pathetisch innehalten und uns händeringend um einen Neustart bitten, selbst wenn sie wüssten, dass es keinen Sinn hat.»