Castro und sein treuer Verbündeter
Ende Mai hat das amerikanische Repräsentantenhaus ein Abkommen über permanente normale Handelsbeziehungen mit der Volksrepublik China abgesegnet. Bill Clinton verdankt den Erfolg seiner Gesetzesvorlage Stimmen vor allem aus dem republikanischen Lager, wo sich wie im Weißen Haus die Überzeugung durchgesetzt hat, normale Beziehungen gewährten den USA bessere Aussichten, effektvoll als Vorkämpfer der Menschenrechte aufzutreten – mindestens im kommunistischen Großreich, wo Personen, die zum Beispiel die Einführung einer Börse empfahlen, dafür im Gefängnis sitzen, und dies noch Jahre nachdem das Regime ihrem Rat gefolgt ist.
Bis jetzt hat diese Politik nicht allenthalben Schule gemacht, jedenfalls nicht, was Kuba angeht. Nein, Fidel Castro ist kein Priester der Gerechtigkeit, der an den Klippen der bösen Welt Schiffbruch erlitten hätte oder in den Untiefen historischer, aber doch gut gemeinter und daher verzeihlicher Fehleinschätzungen aufgelaufen wäre. Gewiss, es gibt Unterschiede zwischen Castro und einem Rios Montt in Guatemala oder François Duvalier einst in Haiti. Um nichts weniger blieb er ein Tyrann mit allem, was einen solchen ausmacht. Er hat seinen Schutzbefohlenen auch Gutes verordnet, doch mehr als eine Million von ihnen haben das Weite gesucht, teils unter Lebensgefahr. Schon in den sechziger Jahren ersetzte er den um Erfolg bemühten Minister durch den, der den Misserfolg besser zu kaschieren wusste, das Plansoll auf dem Papier erfüllte. Er fragte die Kubaner nicht, als er den Kalten Krieg in die Karibik rief, und ihm war es keine Frage, wie teuer sie dafür zu bezahlen hätten. Der líder máximo hatte nicht Gott, aber etwas fast so Großes, nämlich die Geschichte, auf seiner Seite – noch als Kubas Führungsspitze nach dem Vorbild Noriegas in Panama und der haitischen Generäle im Drogenhandel mitzumischen anfing.
Die Zurückhaltung jener Untertanen, die ihm bis heute nicht allen Kredit entzogen haben, ist nicht Sympathie, sondern Furcht vor den exilierten Kompatrioten in Miami und ihrer Finanzmacht. In einem ungebremsten Take-over droht den Daheimgebliebenen das nackte, durch gar nichts mehr gemilderte Elend. Ein gütliches Entschlummern der Zwangsherrschaft wie 1989 in Ungarn oder der Tschechoslowakei hält in Kuba niemand für möglich, eher noch bürgerkriegsähnliche Unruhen nach einem Zusammenbruch des Regimes.
Doch Castro zählt auf die unerschütterliche Treue eines eminenten Verbündeten, derselbe seit vierzig Jahren, mit acht verschiedenen Gesichtern mittlerweile: der Präsident der USA. Auch im fünften Jahrzehnt der Revolution stellt das Weiße Haus mit seinen Sanktionen sicher, dass sich in Kuba nichts ändern kann. Drei Viertel der Wohnungen in Havannas Altstadt sind – nach amtlichen kubanischen Angaben – unbewohnbar. Eine Aspirin-Pille kostet mehrere Taglöhne. Sechs oder acht Stunden Arbeitsweg hin und zurück für Professoren, die mit Monatsgehalt 20 Dollar in einem Vorort hausen. Ein Jahrzehnt springflutartiger Zunahme von Prostitution und Trauscheinhandel mit Frauen, die ohne Schiffbruch vor Florida zu entkommen hoffen. Eine Öffnung des Systems bleibt undenkbar, da morgen schon die Opposition alles, der Staat dagegen kein Geld hätte. So Washingtons Rezept für Kuba, das schon längst kein anderer westlicher Staat mehr gutheißt. Dem Märtyrer Castro erlaubt es, der Nation das Gefühl zu geben, das Martyrium im Unterschied zu ihm mit einem Rest von Würde und Anstand zu leben. Der Eindruck, dass die Leute zum Teil an der Misere Mitschuld trügen, stellt sich, anders als in anderen ruinierten Ländern, in Kuba schwerlich ein.