Happy Millennium Great Country!

Von Georg Brunold, du NO NEWS, 01.03.2000

«Bis zum Ende des Jahrhunderts wird Nigeria eines der zehn führenden Länder der Welt sein», so sagte General Olusegun Obasanjo 1979, am Ende seiner ersten dreieinhalb Jahre an der nigerianischen Staatsspitze. Zwar ist das Märchenschiff bis heute nicht gelandet im Hafen von Lagos, aber unter den 120 Millionen mehrheitlich hart geprüften Nigerianern ist der erwartungsvolle Geist nie gänzlich verflogen. «This great country of ours», so die obligate Wortwahl der politischen Führer, ist great vielleicht nur potenziell, vorläufig wenigstens, aber great ist es in jedem Fall. Obschon etwa in Südafrika ein Drittel der Bevölkerung Nigerias das vierfache Sozialprodukt erwirtschaftet. Dessen ganz ungeachtet handelt es sich bei Nigeria um die größte schwarze Nation der Welt – ein Superlativ, der schon für sich allein nur Größe verbürgen kann. Außerdem gibt es die größte weiße Nation der Welt, das sind die Vereinigten Staaten. Es geht nicht um Kontinente, Afrika oder Amerika, man darf sagen, dass in Nigeria nicht allzu viel Interesse an Afrika zu entdecken ist. In Nigeria gilt das Interesse zwei Nationen, und zwar zwei größten.

Die tapfere weltpolitische Reduktion kann ihre Inspiration und ihren Schwung nur Nigerias Innenleben verdanken: Mehr als dreihundert Volksgruppen mit ebenso vielen Sprachen sprechen und schreiben alle eine Amtssprache, Englisch, die Weltsprache, und diese ist – was für ein Zufall! – die Sprache auch der größten weißen Nation. Wie bitte? London? Hat sich in der alten Metropole seit Nigerias Unabhängigkeit noch etwas von Bedeutung zugetragen? BBC – das war einmal, vom Empire ist ja nichts übrig. Britische Blätter sind Exotica. Der Weltmann in Lagos hat «Time» und «Newsweek». Das da draußen vor der Tür, das ist vielleicht Oshogbo, Yoruba-Land, deutlich Nigeria, auch neue Gebäude schon alle kaputt; drinnen in der Hotellobby Nigerias einträchtige (Tele-)Vision der Außenwelt, auf allen zwanzig Kanälen CNN, CNN, CNN, erkennbar Atlanta, USA.

1999 lag das durchschnittliche Jahreseinkommen der Nigerianer bei 250 Dollar, einem Viertel ihres Einkommens von 1980, als Nigeria noch nicht zu den ärmsten Ländern der Welt gehörte. Im Human Development Index der UNO hielt Nigeria letztes Jahr Rang 146 von 174. Nigeria ist weder der Irak noch Nordkorea, hat seinen Nachbarn weder Krieg gebracht noch sie bedroht. Nigeria war gewiss zu keinem Zeitpunkt das am brutalsten regierte Land. Im Unterschied zur arabischen Welt, wo sich mit Ausnahme eines einsamen sudanesischen Generals namens Siwar al-Dhahab nicht ein einziger ehemaliger Staatschef lebend im eigenen Land im Ruhestand findet, lebt in Nigeria ein halbes Dutzend Expräsidenten in Frieden zu Hause. Doch Nigeria war lange Zeit wahrscheinlich das, wenn man so sagen kann, am schlechtesten regierte Land der Welt. Nigerias Erdöleinnahmen addieren sich seit den siebziger Jahren auf bald 300 Milliarden Dollar, aber dieses Geld reichte nicht zur Behandlung der Leprakranken, von denen ein jeder pro Jahr Medikamente im Wert von rund einem Dollar benötigte und von denen es in Nigeria mehrere hunderttausend gibt.

1999 hieß Nigerias politische Bilanz: 30 von den vergangenen 33 Jahren Militärherrschaft, nach jedem der sieben Coups martialischer. Nun aber schreiben wir 2000, und vor allem im neuen demokratischen Nigeria wird ein neues Jahrhundert in Angriff genommen, unter dem neuen, diesmal gewählten Präsidenten Olusegun Obasanjo, der – als einziger unter Nigerias ehemaligen Militärherrschern – vor zwanzig Jahren das Ruder einer gewählten Regierung übergeben hatte. Es gibt Hoffnung, sogar für die größte schwarze Nation, der wir das Beste wünschen und nur es.