Osttimor, Indonesien und die Welt

Von Georg Brunold, du NO NEWS, 01.11.1999

Die Welt hat sich zögerlich aufgerafft, das angehende 194.Mitglied ihrer Staatengemeinschaft willkommen zu heißen: Osttimor. Eine schmerzhafte Geburt unter schwierigen Umständen. Der indonesische Überfall von 1975 und das Besatzungsregime seither haben in der ehemaligen portugiesischen Besitzung insgesamt etwa 200’000 Menschen das Leben gekostet. Indonesien ist der Bevölkerung nach die viertstärkste Nation der Welt, Südostasiens Führungsmacht, das regionale Gegengewicht zu China und in seiner geopolitischen Rolle kaum zu überschätzen. Rund vierzig Prozent der globalen Seefracht passieren eine der vier Hauptrouten durch den Archipel mit seinen 13’677 Inseln.

Die sogenannte Asienkrise, die vor zwei Jahren von Thailand ihren Ausgang nahm und in kurzer Zeit den ganzen Fernen Osten in Mitleidenschaft zog, hat dem Land – nach einem Währungsverfall von achtzig Prozent – bisher keine Erholung gegönnt. Durch die vom International Monetary Fund geforderten Reformen sieht sich die Armee, Indonesiens alles beherrschender Stabilisator, in ihrer Position bedroht. Am Rand des wirtschaftlichen Abgrunds muss ein Aufbruch in Richtung Demokratie unberechenbare Gefahren mit sich bringen. Bewaffnete Separatistenbewegungen in Irian Jaya auf Neuguinea und im rohstoffreichen Aceh auf Sumatra – droht das maritime Reich, in dem 180 Sprachen gesprochen werden, politisch auseinander zu brechen? Wen oder was, so die Frage internationaler Strategen, gilt es zu retten: Indonesien mit seinen 210 Millionen oder Osttimor mit seinen 850’000 Einwohnern?

Indonesiens Armee, nachdem sich die Massenkundgebungen in Jakarta letztes Jahr gegen sie gewandt hatten, erhielt über Nacht Zuspruch nicht nur von der Straße, wo zwar gegen das neue Notstandsgesetz, zuvor aber auch gegen die Preisgabe Osttimors und jüngst nun wieder gegen Australien demonstriert wurde, sondern ebenso von den in den Parlamentswahlen erfolgreichen Oppositionsparteien. Die Ratifikation der Sezession durch Indonesiens Parlament steht noch aus. Erfindet das Land im Reflex gegen den timoresischen Unabhängigkeitswillen nun spät seinen Nationalismus? Man mag an die ehemals spanische Westsahara denken, wo ab Mitte der siebziger Jahre gut 100’000 Sahraoui mit ihrem Widerstand den Hof Hassans II. sanierten und, statt ihren geforderten Staat zu erlangen, 25 Millionen Marokkaner beinahe zur geschlossenen Nation zusammenschmiedeten.

In Osttimor befanden sich zum fraglichen Zeitpunkt nicht nur Osttimoresen und Indonesier, sondern zudem die Weltgemeinschaft in Gestalt der UNO, die wieder einmal den von einem Mitgliedstaat gedeckten Verbrechen gegen die Menschlichkeit während Wochen tatenlos zusah. Die UNO besteht, soweit sie sicherheitspolitisch effektvoll agiert, aus den fünf ständigen Mitgliedern ihres Sicherheitsrates. In deren Denken behält die Strategie die Oberhand über das Völkerrecht. Eine Intervention gegen den Willen Indonesiens, so konnte man hören, stelle die größere Bedrohung der internationalen Sicherheit dar als das blutige Exempel, das Indonesien in Osttimor statuierte. Außerdem mischen sich diese fünf Mächte wechselseitig nicht unter Waffen in das ein, was sie als ihre internen Angelegenheiten betrachten, weder in Tibet noch in Tschetschenien noch in Nordirland. Indonesien erhob zunächst Anspruch auf Gleichbehandlung. Weshalb und wer in Jakarta davon abgerückt ist und eingelenkt hat, ist nicht klar. Nebst Osttimor bleibt jedenfalls noch Indonesien zu retten, vor sich selber, was am schwierigsten ist, und wer in Jakarta dazu Hand bieten will, darf keine Abfuhr erhalten – auch im Interesse Osttimors nicht.