So wichtig wie Pinochet
Ex-Präsident George Bush wird in einem Moskauer Hotel festgenommen – auf Grund eines Auslieferungsbegehrens des Iraks: Das Szenario verdeutlicht die Sorgen, mit denen das Weisse Haus die Regungen eines neuen Geists im britischen Oberhaus aufgenommen hat. Dieselben Sorgen wie diesmal im Falle Pinochet gaben bereits den Ausschlag, als die US-Regierung letzten Sommer dem UNO-Projekt eines internationalen Strafgerichtshofs ihre Unterstützung verweigerte. Die UNO handelt als Agentin ihrer Mitgliedstaaten, supranationale Souveränität gibt es nicht. Daran etwas zu ändern entspricht offenbar nicht dem nationalen Interesse der einzigen Supermacht.
Die britischen Law Lords hielten in ihrem Präjudiz vom 25.November dagegen fest, dass die nationale Souveränität nicht in jedem Fall als das höchste Prinzip des internationalen Rechts gelten kann. Lord Nicholls of Birkenhead zitierte eine Erklärung des internationalen Militärgerichtshofs bei den Nürnberger Prozessen, wonach derjenige, der das Kriegsrecht verletzt, nicht die Immunität des Repräsentanten eines Staats in Anspruch nehmen kann, da der Staat, der seine Handlungen autorisiert, seine Kompetenzen als Staat überschreitet. Doch der Entscheid der Law Lords ist ohne Präzedenz, denn es geht dabei nicht um einen zwischenstaatlichen Konflikt. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, so befanden die Lords mit drei Stimmen gegen zwei, sind strafbar, in Grossbritannien wie in jedem anderen Rechtsstaat, auch wenn der Schuldige von dem Staat, dem er angehört und wo die Taten verübt wurden, für diese nicht belangt werden kann. Ungeachtet des Ausgangs im Kräftemessen um General Pinochet ist mit einem solchen Urteil in Zukunft zu rechnen, und damit ist in der Geschichte des Völkerrechts ein neues Kapitel aufgeschlagen.
Es ging, so Lord Nicholls, nicht um die Frage, ob und inwieweit die Immunität eines Staatschefs sich über seine Amtszeit hinaus erstreckt. Sie erstreckt sich, so das entscheidende Glied der Argumentation, nur auf seine Amtshandlungen. Folter und Verschwindenlassen von politischen Gegnern gehören, so das Urteil der Lords, nicht dazu. Und die beiden UNO-Konventionen gegen Folter und gegen Geiselnahme lassen keinen Zweifel, dass Verstösse dagegen in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte fallen, ja mehr noch: dass diese verpflichtet sind, Täter - ob ehemalige oder auch amtierende Staatsoberhäupter - entweder selber abzuurteilen oder auszuliefern.
Die Konsequenzen sind weitreichend. Noch das Geringste sind die getrübten Aussichten für Asylanten wie Jean-Claude Duvalier, Raoul Cédras, Idi Amin und Mengistu Haile Mariam. Wer aber wird noch ausser Landes reisen von den amtierenden Autokraten Afrikas, Arabiens, Südostasiens oder Jugoslawiens? Das Weisse Haus erweist sich diesmal doch als Verbündeter der Dritten Welt. Dort wird das britische Urteil zurückgewiesen, nicht nur von notorischen Verkörperungen nationaler Souveränität. Demokratische Oppositionelle kritisieren es als fragwürdiges Signal an Despoten, die nach einem Rücktritt im eigenen Land ihres Lebens nicht sicher wären. Mit der Verweigerung des goldenen Ruhestands im Asyl vergebe man eine Chance, sie loszuwerden. War aber nicht gerade umgekehrt diese Art Altersversicherung der Freipass für ihre Tyrannenkarriere? Internationales Recht, das an Staatsgrenzen endet, ist eine nette Fiktion, was mehr sein mag als nichts. Doch sie allein verhilft der Welt nicht zu mehr Recht, und das liegt nicht an mangelnder Schlagkraft der Polizei, sondern an Regierungen, die über dem Recht stehen.