50 Jahre Menschenrechte
«Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.» Das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, Religionsfreiheit, auf Freiheit - das Wort fällt zwanzigmal - der Meinungsäusserung. Das Recht auf soziale Sicherheit, auf unentgeltliche Bildung, auf ärztliche Versorgung, auf Arbeit, Freizeit und regelmässige bezahlte Ferien. Auf der Erde gibt es den Begriff der Menschenrechte, und vor fünfzig Jahren, am 10. Dezember 1948, hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Universelle Deklaration der Menschenrechte verabschiedet, in der alle diese Rechte festgeschrieben sind. Sie wollte damit eine ältere, weniger umfassende Idee beträchtlich erweitern und ihr zu Weltgeltung verhelfen. Die Idee, eine europäische Errungenschaft des späten 17. Jahrhunderts, war Leitmotiv der beiden grossen bürgerlichen Revolutionen, der amerikanischen und der französischen. Sie bestand in der Behauptung, dass es Rechte gebe, die unabhängig von der Staatsangehörigkeit dem Individuum kraft seines Menschseins zustehen, naturgegeben, falls nicht gottgegeben. In Amerika waren dies die Rechte auf Leben, Freiheit und auf Streben nach Glück, aus Frankreich kannte man die Gleichheit vor dem Gesetz.
Es gibt auf der Erde den Begriff der Menschenwürde, und im Geiste der Deklaration ist diese angeborene Würde anerkannt, wenn für die Achtung der Menschenrechte Gewähr besteht. Dieser Begriff der Menschenwürde lässt um so Schlimmeres ahnen, wenn es keinen anderen gibt. Dann besagt er, dass den Menschen ohne die Obhut der Vereinten Nationen gar keine Würde bleibt. Diese Gefahr ist real. Die Vereinten Nationen haben weder Vollzugsorgane noch eine Rechtsprechung. Vielleicht erklärt dies auch, weshalb die Deklaration bei den angeführten Rechten wenig auf Unterschiede gibt. Die Gewährleistung der Menschenrechte bleibt dem Nationalstaat überantwortet, der einzigen Instanz weltweit, die Rechte garantieren kann. Zwar ist zum Beispiel in Europa am 3.November ein neuer Menschenrechtsgerichtshof eröffnet worden, in Strassburg, zuständig für die 40 Staaten, die die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet haben. Aber er bleibt in seiner Hoheit eingeschränkt. Selbst Fälle, wo es um Leib und Leben geht, kann er nur behandeln, wenn keine der Streitparteien Einspruch erhebt.
Auf der Erde gibt es den Begriff der Utopie. Wir kennen ihn, er heisst soviel wie «Nirgendland». In einigen reichen Ländern klagen Menschen, sie hätten keine Utopie. Mag sein. Doch es ist nicht so, dass es auf der Erde keine Utopien gäbe. Es gibt sie, denn wer in seinem Lande keine Rechte hat, der hat sie auf der Erde nirgendwo. «Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu geniessen», steht in Paragraf 14 der Deklaration. Das ist zu präzisieren. In Wirklichkeit haben die Menschen höchstenfalls noch Rechte, wenn sie zu Recht, das heisst als Schuldige, verfolgt sind. Im Kerker behalten sie von ihren Rechten so viel, wie die Justiz eines Staates ihnen lässt. Sind sie dagegen unschuldig verfolgt, so haben sie gar keine Rechte. Weder ihre Unschuld noch das Faktum, dass sie verfolgt sind, lässt sich beweisen. Da sie eben diesen doppelten Beweis zu erbringen haben, finden sie weder als Unschuldige noch als Verfolgte Anerkennung, von Recht zu schweigen. Im Zweifelsfall für den Täter, galt die Regel; im Zweifelsfall gegen die Opfer, heisst sie nun. Sie werden ausgeschafft, nach nirgendwo oder nach Freetown, Sierra Leone. Eine Philosophin, Hannah Arendt hiess sie, und sie steht in hohem Ansehen, schrieb über Flüchtlinge und Staatenlose: «Absolute Rechtlosigkeit hat sich in unserer Zeit als die Strafe erwiesen, die auf absolute Unschuld steht.»