«... et Dieu creéa la femme»

Aus echtem Schrot und ganzer Seele. Brigitte Bardot

Von Georg Brunold, Zeitschrift du, 01.07.1999

Noch reichte ihr das Wasser bis zur Brust in der triefnassen Bluse, doch diesem Meer, das seinerseits gar nichts Gefährliches an sich zu haben schien, würde sie, man sah es kommen, demnächst entsteigen, gerettet von Antoine Tardieu, von dem ich nichts wußte, ebensowenig wie von dem sinnlichsten und weltberühmtesten Mambo, den sie am selben Abend in jener Bar tanzte, bis Michel Tardieu, ihr Ehemann, auf sie schoß. Mit einem Bild aus dieser Tanzszene wollte der Vatikan in seinem Pavillon an der Brüsseler Weltausstellung von 1958 den Inbegriff jener Kräfte vor Augen bringen, kraft deren auch die Hölle nicht um ihre Attraktivität zu bangen braucht. Mir allerdings sagte nicht einmal ihr Name Juliette Hardy etwas. Den besagten Film von Roger Vadim, ihrem erstem Ehemann, hatte ich nicht gesehen, und darauf kam es wahrlich nicht an. Es war 1971, ich war 18, und B.B. – die Aufnahme stammte aus dem Jahr 1956 – war 22. «Sag einmal», entfuhr es meinem Vater, zu Besuch in meiner Pension: «Kannst du so arbeiten?» Dabei war der Poster vom Schreibtisch aus gar nicht zu sehen.

Mittlerweile war B.B. 37, 1973 bereits nahm sie Abschied vom Film, und zwei Jahre später, mit 41, fing sie ihre Memoiren zu schreiben an. Für mich gehörte sie unzweifelhaft zur Generation meiner Eltern, stand diesen in der Zahl ihrer Jahre näher, und schon seit einiger Zeit – ich hatte ja hie und da von ihr reden gehört – galt sie mir als Beweis, als einziger vielleicht, daß es auch in jener Generation nicht durchweg so unbefleckt zu und her gehen konnte, wie man uns Zöglinge glauben zu machen bestrebt war, zumindest nicht in Gedanken, das Betragen dahingestellt. Obschon meine Mutter noch heute, mit 80, darauf besteht, sie habe bis mindestens 50 an den Storch geglaubt.

«Ihr Spiel ist schlecht, die Diktion kläglich, die Rolle beklagenswert und ihre Schönheit nicht der Rede wert», schrieb «Paris Match». Doch solche Kritiker würden ihr wenig anhaben können, denn «außer Louis Chauvet», so François Truffaut, «gibt es niemand mehr, der glaubt, eine Schauspielerin sei eine Dame, die besser artikuliert als andere, fast wie man in primitiven Völkerschaften glaubt, ein Schriftsteller müsse vor allem eine sehr leserliche Handschrift haben».

Da ihr Format in gewisser Hinsicht das der Grande nation sprengte, hatte dort das Einmalige und Unvorstellbare zu geschehen, daß nämlich Europas erstem Kinosuperstar erst auf die durchschlagenden Erfolge in den USA hin auch in Frankreich die Approbation erteilt wurde. In Hongkong spielte ...et Dieu créa la femme in der ersten Woche so viel ein wie in Paris in einem Jahr, in England wurden die Schlangen vor den Kassen während Wochen nicht kürzer, ebensowenig in Deutschland, wo einige Jahre später – nicht zu bald – mit Oswald Kolle die Revolution von '68 beginnen würde.

B.B. selber fand sich ein Scheusal mit Monsterbrüsten, unmöglicher Nase, zu großer Unterlippe. Von der meistfotografierten Frau des Jahrhunderts darf man schwerlich Zufriedenheit mit ihrem Äußeren erwarten. Doch bei den Pariser Ansichtskarten verlor das einzige Objekt, daß mit B.B. zu konkurrieren vermochte, der Eiffelturm, bald an Boden. Ihr Haus mit Namen La Madrague, «das Thunfischnetz», seit 1958 B.B.s Sommersitz in Saint-Tropez, war die erste Brutstätte der Paparazzi, und B.B. persönlich war es, die mit dieser Unterstützung das Nest an der Côte d'Azur zum Treffpunkt des internationalen Jet-Set beförderte. «Es genügt», schrieb Jean Cocteau, «daß diese Hexe, diese Sphinx bei Mme Vachop in Saint-Tropez eine Hose und eine Strickjacke für Männer kauft, damit sämtliche Mädchen der Côte sich anpassen und dieser Aufzug zur Mode wird.» Während Cocteau zufolge die Geschichte aus Wahrheiten besteht, die zur Lüge werden, umfaßt die Mythologie die Lügen, die zur Wahrheit werden. Das neue Frauenbild, das sie verkörperte, löste sich von der Leinwand im selben Augenblick, in dem es darauf erschien, und mit ihrem Auftritt in ...et Dieu créa la femme hatte sie sich vom Vehikel Kino bereits radikal emanzipiert.

Der Mythos B.B. bedurfte in der Folge kaum einer Erinnerung an die 47 Spielfilme, in denen sie von 1952 bis 1973 auftrat. Vielleicht war das maßgebende Element nicht die «Sexbombe», die mit jeder Geste zum Beischlaf lädt, nicht ein weibliches Gegenstück zu Don Juan, das unausweichlich vom Gedanken an die Hure begleitet würde. In B.B. ist, so Cocteau, «etwas Unbekanntes» am Werk, «das die Götzenanbeter einer gottlosen Zeit herbeilockt». «Kratzbürstig süß», «treuherzig berechnend», «jungfräulich sündig», «unschuldig pervers», lauten alte Attribute, die die eindeutig zweideutige Figur noch einmal einfangen sollten. Dabei ist neu an ihr, daß sie sich, vollends Objekt geworden, desto kompromißloser entzieht, sich nicht mehr einfangen und besitzen läßt und gerade dadurch, daß sie nie mehr Beute sein wird, ihrerseits zur Wildbeuterin wird, die von nun an – und dies ganz tatenlos – die entthronten Jäger verfolgt als, wie Vadim sie nannte, «der unerfüllbare Traum jedes verheirateten Mannes». In den schamhaften fünfziger Jahren fand in B.B. ein neues, noch unbekanntes Gefühl von Freiheit Ausdruck, und natürlich folgen ihr auf dem Fuß besonders feinfühlige und nicht minder einfühlsame Denker, die rasch genug, womöglich vorgreifend, diese Freiheit als falsche denunzieren werden: «Ich», sagte Roland Barthes angesichts B.B., «finde es schrecklich, die Freiheit zu verkörpern und deren erstes Opfer zu sein.»

Dieser Frau, die jedenfalls nicht weiß, wie man ein Spiegelei macht, kommen ihre sinnlichen Reize zustatten. Das Phänomen B.B. aber werden sie nicht erschöpfend erklären. «Meine Kraft», verrät sie in ihren Memoiren, «kam aus tiefster Seele», und ihre ehedem unbekannte Wirkung auf der Leinwand hatte in der Tat damit zu tun, daß B.B. nämlich nicht spielte, nicht nur ihre Rolle nicht spielte, sondern nicht einmal sich selber. «Heiser, rauh, kräftig, sagte ich ihnen, was ich ihnen, ihnen allen, zu sagen hatte.» Nicht weniger unmißverständlich äußerte sich der Präsident von B.B.s Frankreich: «Cette jeune personne», sprach Charles de Gaulle, «a une simplicité de bon aloi» – voilà, aus echtem Schrot und Korn. Wenn die Kamera zu surren aufhörte, küßte B.B. weiter. Die Leinwand ließ keinen Zweifel darüber, daß diese neuartige Welt sich nicht auf ihr Bahn brach, und dennoch gewährte sie für einige knappe Sequenzen Teilhabe am Privatleben der wegweisenden Frau. Kein Spiel: In einem Interview vor zehn Jahren wurde sie gefragt, was sie anders machen würde, wenn alles nochmals von vorn begänne. Nichts, sagte B.B., beginne jemals von vorn.