Mann des Jahres

Kolumne erschienen in der «Basler Zeitung», 09.12.2011

Als im Januar und Februar Millionen von Ägyptern auf der Strasse ausharrten, bis Präsident Hosni Mubaraks Pharaonenthron dem enormen Druck nachgab, wussten sie die gesamte arabische Welt am Bildschirm hinter sich. Neben dem ägyptischen Internetaktivisten Wael Ghonim war der wichtigste Mann im Hintergrund der Pate des internationalen Fernsehsenders Al Jazira in Katar, der seit 15 Jahren die arabische und islamische Welt, um nicht zu sagen die weltpolitische Szene aufmischt.

Im libyschen Überlebenskampf gegen Gaddhafi rüstete er nicht nur islamistische Rebellen aus, sondern schickte aus Katar Soldaten und Kampfflugzeuge ans Mittelmeer.

Zuletzt nun ging der Bannstrahl der Arabischen Liga gegen das Assad-Regime in Damaskus auf seine, Hamad Bin Khalifa Al Thanis, Initiative zurück. Nur auf der benachbarten Golfinsel Bahrain mochte er sich für die Aufständischen nicht erwärmen, beteiligte sich stattdessen an deren Niederknüppelung durch geliehene saudische Spezialkräfte. Seine Leute vermittelten nicht nur im Jemen und im sudanesischen Darfur, sondern ebenso zwischen den Palästinensern von Fatah und Hamas, deren Führer Khaled Meshal in Doha eine seiner Residenzen unterhält.

«Al Jazeera», bis heute von unserem Mann des Jahres finanziert, hat mit seinen regelmässigen Auftritten Osama Bin Ladens nicht nur immer wieder in Washington für Ärger gesorgt. Nicht weniger als sechs arabische Staaten – Jordanien, Saudi-Arabien, Kuwait, Tunesien, Libyen, Marokko – haben in Verstimmung über den Sender schon einmal ihre Botschafter aus Doha zurückgerufen.

1996, im Gründungsjahr von «Al Jazeera», in dem er in Doha eine israelische Handelsdelegation mit Shimon Peres an der Spitze empfing, hatte er begonnen, den befreundeten USA für eine Milliarde Dollar in seinem Ländchen einen Luftwaffenstützpunkt zu bauen, heute wichtigstes Überseequartier des U. S. Central Command Centcom, mit einem Personalbestand von derzeit 13 000 Menschen. 2003 wurden von dort die Einsätze gegen Saddam Husseins Irak geflogen. Es wird spekuliert, dass in Katars Hauptstadt Doha, die sich auch schon für die Fussballweltmeisterschaft 2022 rüstet, demnächst die afghanischen Taliban eine offizielle Vertretung eröffnen werden.

Zu den in Doha schon länger gern gesehenen Gästen zählte Rachid Ghanouchi, Führer der tunesischen Islamistenpartei Ennahda, die bei den Wahlen unlängst obenaus schwang. Aus Doha agitiert der den Muslimbrüdern nahestehende Exilägypter Sheikh Yusuf al-Qaradawi, einer der global wirkungsmächtigsten Vordenker des zeitgenössischen politischen Islam, Religionsexperte auch bei Al Jazira, wo er Selbstmordattentaten in Israel eine Rechtfertigung abgewinnen darf.

Von Katars 1,7 Millionen zählender Wohnbevölkerung sind 225 000 Staatsbürger diejenigen mit dem weltweit höchsten Prokopfeinkommen, von der CIA auf 180 000 Dollar geschätzt, bezogen aus dem weltgrössten Erdgasdepot. Eine Education City beherbergt auf ihrem Gelände von zehn Quadratkilometern Fläche die Ableger eines halben Dutzends renommierter amerikanischer Hochschulen, in welche aus den USA Vorlesungen übertragen werden.

Die Qatar Museums Authority beaufsichtigt neun ehrgeizige Museumsprojekte: das Museum of Islamic Art als führendes Zentrum islamischer Kunstgeschichte, das Madhaf Arab Museum of Modern Art als Brennpunkt der Gegenwart, ein Museum für Fotografie aus aller Welt, ein Nationalmuseum, ein Museum für Naturgeschichte, um nur fünf zu nennen. Die arabische Version des Davoser WEF ist das Doha-Forum. Ausser aktuell auf einer jüngsten Session mit den arabischen «Revolutionen» befasst es sich mit Freihandel und Luftspiegelungen wie Demokratie. Das Frauenwahlrecht wurde noch im letzten Jahrhundert eingeführt, wonach Wahlen in diesem Jahrhundert vorbereitet werden sollen. Katars soziale Entwicklungsanstrengungen koordiniert die Qatar Foundation unter dem Vorsitz der First Lady Sheikha Moza.

Mit ihr sind wir bei der Familie unseres Manns des Jahres angelangt. Geboren am 1. Januar 1952, rückte der Absolvent der englischen Militärakademie von Sandhurst im Alter von 25 Jahren zum Kronprinz und Verteidigungsminister, wenig später zum Vorsitzenden des obersten Planungsrates auf. Er hat drei Ehefrauen, elf Söhne und dreizehn Töchter, etliche von ihnen an exponierter Stelle im Familienkleinstaat aktiv.

Seinem konservativeren Vater, der in Genf weilte, teilte der Kronprinz 1995 mit, er solle sich künftig von zu Hause fernhalten, worauf dieser sich im befreundeten Saudi-Arabien für den Ruhestand einrichtete. Einst vor Rivalen aus der innerarabischen Wüste auf die Halbinsel im Golf ausgewichen, wo es Mitte des 20. Jahrhunderts kein Telefon, aber noch Sklaven gab, hat es die Sippschaft bis 1960 vorgezogen, unter britischer Protektion zu herrschen. Neben Saudi-Arabien ist Katar der einzige Staat der ultraorthodoxen Wahhabiten, wo aber Frauen ein Auto fahren dürfen, christliche Kirchen Gottesdienste abhalten und Alkohol verkauft wird. Eingezwängt zwischen Saudi-Arabien und Iran, verdanken die Katari dem Umstand etwas Luft, dass die beiden regionalen Schwergewichte an ihrer Seite sich nach Kräften abstossen. Auf das Handicap einer politischen Ideologie verzichten sie. Sie scheinen nur davon auszugehen, dass unter den neuen Kräften der arabischen Welt die Islamisten auf dem Vormarsch sind, nicht Extremisten unter ihnen, doch ihr Mainstream. Religion in diesen Gegenden ist wichtig.

Das Haupt dieser Pragmatiker in Doha aber, Mann des arabischen Jahres 2011, ist Sheikh Hamad Bin Khalifa Al Thani, Emir von Katar. Wir hoffen, unsere guten Wünsche freuen ihn.