Berufssinn – Frau Kopp im Coop
Vorbilder, aufgespürt in Arosa
Früher, als ich in Arosa noch zum Kindergarten ging, war unten in unserem Haus Silvana ein Lebensmittelladen, der Inneraroser Hold, eine Filiale des Hauptgeschäfts, das damals die Stelle des heutigen Denner einnahm. Trat man ein, stand hinter dem Ladentisch das graugelockte Fräulein Karrer (und gab mir ein Guezli). Selbstverständlich kannte sie alle im Dorf Ansässigen mit Namen, wusste überdies auch, wo sie wohnten und in welchem Beruf sie tätig waren. Gesprächsstoff war also gegeben. Ein wichtiger Teil von Fräulein Karrers eigener Berufstätigkeit war schliesslich mit den Kundinnen und Kunden reden, denn diese sollten gerne wiederkommen wollen.
Davon kann leider im Selbstbedienungsladen nicht allzu viel übrig sein. An der Kasse schieben wir uns vorbei, dem Ausgang entgegen. Sind wir dran, sagen wir auch im Dorf oftmals kaum grüezi und wenn, dann ohne einen Namen zu nennen, ganz wie unten in der Stadt an einer Kasse der Gäuggeli-Migros. Nicht so im Aroser Coop Zentrum. Beim Eintreten brauchen wir nur in Frau Kopps Richtung zu blicken, und schon von weitem hören wir ihr Grüessech, ob sie den Namen kennt oder nicht. Auf das Berndeutsch, das ihrem Charme bestimmt nicht in die Quere kommt, wäre sie nicht angewiesen, sie könnte es auch ohne. Da haben Sie doch Ihre zwei Grapefruits zu wägen versäumt – im Glauben, diese würden Sie im Stückpreis zahlen. Frau Kopp, sichtlich dankbar für die Abwechslung und überglücklich, es für Sie zu tun, ist schon von der Kasse aufgesprungen und zur Waage unterwegs, noch ehe Sie begriffen haben, worum es geht.
Vor einigen Monaten hatte ich mich am Schalter der ABB und auf der Gemeindepolizei nach meiner Lesebrille erkundigt. Da ich meinte, sie wahrscheinlich im Bus verloren zu haben, machte ich während einiger Tage bei mehreren Gelegenheiten immer wieder den gleichen, mir heute unbegreiflichen Fehler, nicht sogleich Frau Kopp danach zu fragen. Könnte sie es, hätte sie sich sicher selber auf die Suche nach dem Besitzer gemacht. Jedenfalls lag meine Brille am nächsten Tag bei ihrer Kasse. Weithin sichtbar ist Frau Kopps liebste Beschäftigung, auf unser aller Zufriedenheit achtzugeben, denn weil wir kommen und auf dass wir gerne wiederkommen, ist sie schliesslich da, nicht wahr.
Eine immerwährende gute Laune wie die von Frau Kopp kann nur angeboren sein. Aber eben doch nicht nur. Nicht zu übersehen darin ist auch das Pflichtgefühl, diese ebenso selbstverständliche wie uranständige Gewissheit, dass alles andere als Freundlichkeit für jemanden in ihrer Position ein Armutszeugnis wäre. Stehen Sie an Ihrem Stand auf einem Weihnachtsmarkt, um das Werk Ihrer eigenen Hände feilzubieten, dann sind Sie motiviert zur Freundlichkeit. Wie ist das, wenn Sie stattdessen auf der Lohnliste irgendeines Vorstadt-Discounters stehen, wo zwischen den Regalen die Kunden nicht aneinander vorbeikommen?
Frau Kopp weiss auch an ihrer Kasse noch, was es heisst, einen Beruf zu haben und ihn auszuüben. Und wir haben allen Grund, Menschen wie ihr gegenüber Dankbarkeit zu empfinden. Zu allem Guten hin, das sie uns tun, wirken sie nämlich ansteckend. Gestärkt verlassen wir den Laden und mit gefestigter Überzeugung: Alles andere als zueinander freundlich sein ist Dummheit, ein Mangel nicht nur an Herz, sondern zudem an Verstand. Frau Kopp hat uns heute wieder daran erinnert. Ich nehme nicht an, dass sie vor Ladenöffnung das gleiche Kalenderblättchen gelesen hat, das ich, vom Coop kommend, daheim an unserer Küchenwand abreisse: «Das einzige Vergnügen, das sich nicht abnützt», sagt darauf der grosse George Orwell, «besteht darin, andern Gutes zu tun.»