Beste deutsche Aroser Tradition
Vorbilder, aufgespürt in Arosa
Schon vor drei Jahren, als ich in unserem Haus noch Feriengast war und er noch Mieter in der UG-Wohnung über REDs Laden, fiel er sogleich auf. Einzig ein Fremdländer konnte so die 26 Stufen zur Haustür hochrennen, wie sonst nur unser sechsjähriger Jüngster, der im Läuferhochland Kenias das helle Licht der Welt erblickt hat. Dieser hier war aus dem Norden, THORWARTH stand drinnen im Windfang auf seinem Briefkasten.
Bleibend eingeprägt hat er sich mir an jenem Oktobersamstag 2012. Bangend hatten wir den Swiss Moving Services in Urdorf 300 Extrafranken für die Eilauslieferung angewiesen, und tatsächlich hätte es der Überseecontainer die folgenden Tage nicht mehr bis vor unser Haus geschafft. Nun stand er morgens um halb neun unten vor den Garagen und dahinter die zum Ablad aufgebotene vierköpfige Thüringer Crew, niedergelassen alle in Arosa. Unter ihnen der Herr Thorwarth. Als das Containersiegel erbrochen war und die knarrenden Flügeltüren den Blick ins Innere freigaben, trat auf sein bleiches Antlitz ein Lächeln tiefer Zufriedenheit. Die zehnseitige Packliste führte exakt 199 Kartons auf, zwei Drittel davon Bücherschachteln von 20 bis 35 kg das Stück. Frisch wie die ersten Flöckchen, die darüber tanzten, liess Herr Thorwarth seine Arme einige Male kreisen. Dann, wie ein Formel-1-Pilot vor der Startlinie den Motor aufheulen lässt, machte er mit den Bücherschachteln auf beiden Schultern zwei, drei Luftsprünge, bevor er die Treppe hinauf drei Stufen auf einmal nahm. Nach eineinhalb Stunden waren die vier Tonnen Fracht im Haus. Es durfte richtig losschneien.
Thorwarth, letztes Jahr dreissig, hat in Arosa angetroffen, wonach er andernorts vergeblich suchte: «Arbeit in Hülle und Fülle» nämlich, sagt er, genauso wie die immer strahlende Manuela Ferreira aus Porto, die er bei Reinigungsarbeiten gerne beizieht, und genauso, stelle ich mir vor, wie einst sein hessischer Landsmann, erster Wintergast und Skifahrer im Dorf und seither berühmtester Aroser: «Die Geschichte des Fremdenorts beginnt 1883, als Arosa von dem deutschen Arzt Dr. Otto Herwig als Luftkurort entdeckt wird.» So, im Wortlaut oder sinngemäss, beginnen die geläufigen Lexikoneinträge. In dem Bauernnest, das um 1850 gerade 50 Seelen zählt, ist mit deutschem Know-how der solide Grundstein des Aroser Kurbetriebs gelegt. Die Zuwanderung kann beginnen. Buon giorno! Marazzi heisst alsbald das grösste Unternehmen der seitdem übermächtigen Aroser Bauwirtschaft, der mein Peister Urgrossvater mit der ersten Schreinerei im Ort zudient. Keine der einheimischen Familien hat heute Nachkommen im Dorf, mit der einzigen Ausnahme der Holds. Diese Uraroser bauen mit an den Gästehäusern, die nun wie Pilze aus dem Boden schiessen. Aber kein Vergleich zur Malixer Dynastie Schmid in der Seegrube, die, erworben durch Einheirat mit einer Jenni, dannzumal vom Seehof zum Sunstar Park und über die Poststrasse zum Haus Lorez bis und zum heutigen Dorfplatz reicht.
Der häufigste Familiename im Dorf wird vielleicht bald Waidacher sein, ein Kärntner Geschlecht, dessen hiesiger Ableger in unserer Höhenlage auf recht gedeihlichen Boden gefallen ist. «Papierlischweizer!» rufen sie Lutta senior auf dem Pausenplatz nach. Und noch bis heute sehen Menschen Grund, sogar über Landesgrenzen zu uns zu kommen, noch hundert Jahre nach meiner Grossmamma aus Heidenheim und ihrer Schwägerin im Neubach, einer Wienerin gutslawischen Namens. Welch ein Kompliment doch! Freuen wir uns! Und wer auch wollte ohne sie die ganze Arbeit machen? In unserem Dorf, wo es Einheimische eigentlich kaum gibt? Man hört, Arosas knappes Ja zum «Masseneinwanderungsstopp» sei als ein Entwicklungsbeitrag der ehemaligen Talgemeinden gemeint gewesen und so entschuldbar. Wir wünschen uns und ihnen, dass auch sie mit der Einwanderung nach Arosa gelegentlich fertigwerden. Sie aber, liebe Gäste, setzen Sie wie eh und je auf Zuwanderer und mit uns vor allem auf deren Kinder!
Herr Thorwarth, der ein Jahr nach jenem brenzligen Samstag bei uns Hauswart wurde, hebt derweil meine Stimmung beim frühmorgendlichen Schwatz. Nicht weniger flink als mit den Händen ist er in der Birne. Bloss sollten Sie darauf achten, dass ihm dabei die übrige Beschäftigung nicht ausgeht. Auch im Dorf taucht er bestimmt gleich hinter der nächsten Ecke auf. An Wintertagen hat er schon einmal um 02 Uhr 45 mit der Schneeräumung begonnen, und nach den ersten zwölf seiner neunzehn Termine eilt er zum zweiten Mal heim in die Irmella, wo der Alleinerzieher das Mittagessen kocht. Seinen neunjährigen Dennis will er an unserer hochkarätigen Schule grosswerden sehen. Und in seine Home Facility Service GmbH (www.hfs-arosa.ch) investiert er: In Davos hat er für 43'000 Franken eine Aebi-Schneefräse sichergestellt, die neu 100'000 kostet. Noch aber hat er nichts entdeckt, was er lieber täte, als arbeiten. So, wie er das von sich sagt, als wäre er wieder mit einem Zwanzigtönner voller guter Laune vorgefahren, kann man ihn dafür nicht bedauern. Sein Taufname ist Daniel, und also nenne ich ihn Herrn Düsentrieb, wogegen er bis jetzt nicht protestiert hat.