Islam und Mädchenbeschneidung

Von Georg Brunold, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Feuilleton 04.04.2011

In Deutschland hat die sogenannte Islam-Debatte schon vor einiger Zeit den Stand erreicht, der sich in Anlehnung an ein Wort von Hans Magnus Enzensberger beschreiben lässt: Was immer man dazu noch sagen mag, der Misthaufen wird nur größer. So soll es hier bei einem Aspekt bleiben, der an und für sich mitnichten als ein Detail zu betrachten wäre, andererseits jedoch mit dem Islam eigentlich nichts zu tun zun haben bräuchte: nämlich die Mädchenbeschneidung, wissenschaftlich "female genital mutilation“ oder deutsch Verstümmelung weiblicher Geschlechtsteile genannt.

Fraglos handelt sich um eine vorislamische Tradition. Der aggressivste Eingriff ist die Infibulation, bei der mit dem Ziel der Verhinderung von Koitus und Masturbation die Klitoris sowie die kleine und große Schamlippe entfernt werden, wonach die Wundränder so vernäht werden, dass zum Abfluss des Menstruationsbluts nur eine kleine 0ffnung bleibt. Die Infibulation wird auch pharaonische Beschneidung genannt. Praktiziert wird sie bis heute vor allem in Somalia und Dschibuti, aber auch immer noch in Teilen Sudans und in Ägypten. Auf einer Tempelwand in Luxor ist die Seereise der Pharaonin Hatschepsul zu verfolgen, die Puntland besucht, die Nordostecke des heutigen Somalia. Am dem pharaonischen Agypten ist um überliefert, dass Männer erst ihres weiblichen Geschlechtsteils — nämlich der Vorhaut — ledig zu ganzen Männern werden und erst Frauen ohne Klitoris zu ganzen Frauen. Weniger massiv eingreifende Formen der Mädchenbeschneidung mit partieller oder vollständiger Kliteridektomie — Beschneidung oder Exzision der Klitoris — werden noch immer in weiten Teilen Afrikas, auf der Srabischen Halbinsel und im Indischen Ozean praktiziert, bis nach Indonesien.

Aber es geht hier nicht um einen historischen Abriss über das Brauchtum und seine Verbreitung. Zur Vergangenheit isi nur anzumerken, dass die Materie unter Schriftgelehrten und Priesterschaften kontrovers war, in der islamischen Weit wie anderswo. Vom Propheten Mohammed gibt es einen umstrittenen Hadith, eine mündliche Überlieferung, der zufolge er eine Beschneiderin zur Mäßigung anhält. Und heute? Mohammed Sayyid al Tantawi, der letztes Jahr verstorbene Großscheich der Kairoer Azhar-Universität, der höchsten Autorität im sunnitischen Islam, ist in seinen letzten zehn Amtsjahren nicht müde geworden, seine ägyptische Nation darüber aufzuklären, dass seine Töchter nicht beschnitten seien. Laut einer Studie von Unicef sind 96 Prozent der verheirateten Frauen Agyptens zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten oder genitalverstümmelt, so dass sich schwerlich behaupten lässt, der Großscheich, vormals Mufti und Agyptens höchster religiöser Richter, vertrete in dieser Angelegenheit eine konservative Linie oder auch nur den Mainstream.

Ganz im Gegenteil. Ansonsten erklärte er gerne, der Brauch falle nicht in seine Zuständigkeit, da er keine Basis in der Religion habe. Dasselbe sagte Tantawi zur Ganzkörperverschleierung, und er billigte ausdrücklich das französische Kopftuchverbot.

2006 sprach sich das führende Gremium der Azhar unzweideutig gegen die Mädchenbeschneidung aus und verurteilte diese. 2009 hat aus Doha, Qatar, der radikalislamische sunnitische Lebensratgeber Yusuf al Qaradawi namens seines der Muslimbruderschaft nahestehenden Fatwa-Rates mit einem Erlass nachgedoppelt, der die Verstümmelung weiblicher Genitalien ebenfalls als mit dem Islam unverträglichen Brauch untersagt.

Darüber haben auch deutsche und andere westliche Medien seinerzeit berichtet. Aber es hilft nichts. Die Legende, es gebe keine Verurteilung des Brauchs durch muslimische Autoritäten, lebt.

Matthias Matussek nennt es makaber, einer "Frau wie Ayaan Hirsi Ah mit ihrer Leidensgeschichte die leidenschaftliche Absage an jene Religion vorzuwerfen, die sie verkrüppelt hat“ — als hätte jemals jemand das getan. Aber auch CNN, durch den Mund der sich ganz als Aufklärerin gebenden Christiane Amanpour, posaunte noch unlängst in die Welt hinaus: "die islamische Tradition der Verstümmelung weiblicher Genitalien! . . . — die islamische Tradition der Verstümmelung weiblicher Genitalien! — die islamische Tradition der Verstümmelung weiblicher Genitalien!“ Und dies nicht in einer Sendung etwa über die Stellung der Frau im Islam, nein, sondern worüber wohl? Über "female genital mutilation“ eben. Was ist da zu machen?