Quadratur des Kreises

Von Georg Brunold, du NO NEWS, 01.12.2002

Mit keinem geometrischen Werkzeug ist sie möglich, höchstens mit einem Faden, der aber niemals ganz exakt einen Kreis oder ein Quadrat umfangen könnte. Nicht dass es deshalb zu einem Kreis ein Viereck von identischem Flächeninhalt nicht gäbe. Es gibt es immer; und ebenso auf der Geraden die Strecke von der Länge des gegebenen Kreisumfangs, die sich vierteln lässt. Woran sich aber überhaupt nichts ändert, niemals, ist das besondere Verhältnis zwischen Kreis und Quadrat (das auch als Verhältnis zwischen Körpern wiederkehrt). Ausgedrückt wird es durch das Zeichen π. π ist der Name einer Zahl, und wenn sie auch viele Namen haben könnte, so doch keinen, der sich in Ziffern (oder Bruchzahlen) unseres arabischen Dezimalsystems ausdrücken ließe, außer in unendlich vielen (weshalb sie zu den irrationalen Zahlen gehört). Unendlich viele Ziffern sind nirgendwo zu haben; dafür aber beides, Kreis und Quadrat, zu haben sollte uns deshalb dankbar stimmen.

Zahlen können wir nicht eigentlich beschmutzen mit unserem irdischen Ekel und Verdruss. Das ist ihr Vorzug sogar vor der Musik, deren Wesen sie bekanntlich sind. Von besonderer Art ist ihre Schönheit bei einer – wie die Arithmetiker sagen – normalen Zahl. «Normal» bedeutet, dass in einer Zahl nur Chaos und darin keinerlei Unregelmäßigkeit aufzuspüren ist. In ihr herrscht Zufall, rein gar nichts sonst. Im Fall von π sind die bekannten Dezimalstellen anteilsmäßig unendlich wenige, aber aufgrund der ersten 100 Millionen Stellen scheint π eine solche normale Zahl zu sein. π tut soweit richtig wohl.

π gebietet trotzdem Ehrfurcht. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass in ihren ersten 108 Stellen eine dissonante Folge von acht Siebnern auftreten wird. Das nimmt ihr nichts von ihrem Gleichmut. Der gesamte Informationsgehalt der Encyclopaedia Britannica lässt sich in einer Folge von 1010 Ziffern kodieren, und in der Zahl π ist dieser Block ohne Zweifel anzutreffen. Auch das tut ihr nichts an, ist er doch unendlich häufig anzutreffen – auch wenn man besser nicht fragt wo! – und nicht weniger häufig die Kodierung von Ausgaben mit einem Fehler und mit zwei etc., bis nur die eine oder andere Seite fast richtig bleibt. Eine ausgemachte Abnormität allein verspräche die Encyclopaedia Britannica oder sonst etwas aus dem Chaos der Zahl π fernzuhalten. Wie jedoch die Dinge liegen, scheint in ihr das ganze Universum anzutreffen zu sein, in trilliardenfacher Kodierung, darunter alles, was jemals Menschen taten und – mehr noch – niemals angefangen haben, und wie die Reichen zehntausendmal am Tag den Armen sagen, sie sollten sich zusammenreißen und sich endlich einmal waschen, wo doch ihr Wasser nicht zum Trinken reicht. Alles, was jemals Menschen sprachen oder verschwiegen und leugneten, leider oder zum guten Glück. Nicht zu vergessen alles, nicht nur in diesem unendlich kleinen Kosmos, was sich niemals zutrug, sich dennoch hätte zutragen können oder aber keinesfalls und nirgendwo. Nicht einmal ein Kopf wie Borges hat das ausgeschöpft.

Zwar würde es lange dauern und kein Ende nehmen, es sich alles anzuhören. Wenn auch nur für Sterbliche! (Andere könnten mehrmals.) Die Zahl π aber – darin sind alle ihre überabzählbar unendlich vielen Stellen hic et nunc gegeben. Nicht mehr Raum nimmt sie ein als jeder andere ausdehnungslose Punkt auf dem Zahlenstrahl, und endlich glauben wir, dass sie von unserer Welt unberührt bleibt. π bezeichnet nämlich nur das Verhältnis zwischen einem Kreis und einem Viereck, einem ganz beliebigen, nebenbei bemerkt. Und wer π sagt, hat alles gesagt. Amen und adieu.