Alles Lob der Hure

Von Georg Brunold, du NO NEWS, 01.06.2002

FÜR B.

Für einmal mag man dem verruchten Volksmund Glauben schenken, das horizontale Gewerbe ist das älteste der Welt. Nebst Politik, Militär und Polizei, heißt das natürlich, nicht zu vergessen Faustkeil, Pflug und all die übrige Arbeitssklaverei bis hin zum Fließband. Aber wie bitte? Heutzutage sei die Gesellschaft toleranter und die Hure deshalb eine etwas respektiertere (oder doch weniger verteufelte) Gestalt als auch schon? Tatsächlich? Gewiss, gemäß Statistik ist heute jeder vierte deutsche Mann ein regelmäßiger Kunde. Doch davon abgesehen: Welcher Mann in respektabler Stellung tritt vor seine Belegschaft, Eltern und Geschwister und verkündet freudestrahlend: Meine Ehefrau ist Prostituierte, höchst erfolgreich praktizierend, und so liebe ich sie von ganzem Herzen und mit ganzer Seele!

In Wahrheit verdammt der Wohlanstand die Prostitution wie eh und je – zuerst die Hure. Was ist sein Motiv dabei? Zeigt eine erbarmungslose Gesellschaft plötzlich Mitleid mit den Opfern einer elenden Form von Ausbeutung? Mitnichten, falls jemand sich das eingebildet hätte. Wir reden hier von erwachsenen Frauen im Besitze ihrer selbst, nicht vom Eigentum krimineller Zuhälter oder von Heroinabhängigen in Beschaffungsnot. Doch das Urteil fällt um so härter aus, wenn sie es in eigener Verantwortung tut! Der wohlanständige Nachbar lässt sich nicht zum Narren halten, und der Skandal der Hure kann für ihn nur sein, dass sie es nämlich insgeheim gerne tue, da sie ja aus freien Stücken sich der allgemeinen Arbeitspflicht verweigere, wissend dass ihr schlüpfriges Vergnügen mehr Geld bringt, als jede ehrenvolle Anstrengung im Leben eintragen kann. So will es eine Moral, die von universellerer Geltung ist als die beklagenswerten Menschenrechte, und diese geil verlogene Moral ist die Rache dafür, dass die Prostituierten keinesfalls entbehrlich sind und noch keine Gesellschaft in der Geschichte ohne ihre Dienstbarkeit und ihren Trost den Unterleib im Zaum zu halten wusste. Aber der Hurenbumser, noch immer nicht befriedigt, macht sich an die Steinigung seiner Krankenschwester. Der Hass muss aus den geleerten Taschen kommen.

Nicht dass zwingend alle Leute überzeugt sein müssten, der käufliche Geschlechtsverkehr sei ein schwerwiegendes volksgesundheitliches Problem. Fraglos ist in dieser Hinsicht nur, dass nicht die Hure, sondern der Freier den Bazillus bringt und sein Notstand die soziale Seuche. Eine bezeichnende Lüge lautet, in dieser Branche werde die Nachfrage vom Angebot geschaffen. Das Tagwerk der Huren, hört man ferner, verbinde sich gerne mit weiteren leidigen Gewohnheiten. Doch auch das ist erstens ein Tribut an die besondere Vertrauenswürdigkeit und an die Manieren des Klienten, und zweitens: Handelt es sich nicht bei der Hure Maria, sondern bei der Schneiderin Klara um eine Kleptomanin und pathologische Lügnerin, dann wird das ihr persönlich und nicht ihrem Beruf zur Last gelegt.

Die Hure ihrerseits – die ehrliche, wohlverstanden – wahrlich: Wer wirft den ersten Stein? Da sie diese heillose Welt zu pflegen hat, kann man von ihr nicht gut erwarten, dass sie sie obendrein auch noch kurieren sollte. Sicher, der Freudenmarkt ist nicht frei von irdischen Mängeln, von Ekel und Verzweiflung. Doch er ist, wie schon Karl Kraus in seinem Wien unwiderlegbar dargetan hat, «die einzige Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaft, die nicht von Grund aus verkommen ist.» Und was jeder aufrechte Bürger von seiner Gesellschaft zu fordern hätte, kann einzig heißen: vorbehaltlose Rehabilitierung der Hure, inklusive umfassender Reparationsleistungen für 10'000 Jahre übler Nachrede und Verweigerung elementarer Rechte. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Nicht ausschließlich Huren können gute Menschen sein. Doch träumen wir nur einen Augenblick, die Prostituierte wache eines Tages auf als ein Mensch wie andere … – dann wäre selbstverständlich, wie bei jedem Beruf, die wahre Expertin die, die es am besten kann, am liebsten tut und davon nicht genug bekommen mag. Especially when it comes to money.