Ehe + Treue

Von Georg Brunold, du NO NEWS, 01.05.2001

Bis zur Jahrhundertmitte wird die westliche Welt so weit sein, sagen Futurologen, falls es solche gibt, dass sexuelle Handlungen zweier erwachsener Personen bei gegenseitigem Einverständnis nicht nur straffrei, sondern gesellschaftlich akzeptiert sind. Ja, alle solchen Handlungen, solange sie keine ordinären Straftaten einschließen. Vielversprechend, mag man denken, für die zwei erwachsenen Personen. Aber für die drei erwachsenen Personen? Und die vier? Für die an der sexuellen Handlung nicht Beteiligten? Möchten diese sich doch bitte um sich selber kümmern?

Von sexuellen Handlungen lassen Menschen oft aus Rücksicht nicht auf die, die daran teilzuhaben ausersehen wären, sondern im Gegenteil auf jene anderen, die dazu entweder gar nicht eingeladen oder, wenn doch, dafür nicht zu gewinnen sind. Und diese lehnen für die eigene Person nicht ab, damit der heikle Part zur Gänze anderen, ja ihren Allernächsten überlassen bleibt und von diesen ausgebadet wird. Nein, die Treue, dieses Gleichgewicht des Schreckens, ist der nicht so seltene Fall eines stellvertretenden Verzichts: Er verzichtet nicht so gern auf seine, desto lieber aber auf ihre sexuellen Handlungen und, aus demselben Kalkül, sie auf seine.

Ändert daran etwas, dass der Mensch, der typische, gemäß neuster wissenschaftlicher Forschungsresultate regelmäßig wieder gar nicht monogam veranlagt ist? Nein und nochmals nein, denn wir wollten ja fast alle, wenn auch nicht pausenlos, uns sexuellen Handlungen hingeben und tun es trotzdem, ja eben deshalb nicht. Selbst wenn wir es, weil wir es nicht tun, deshalb noch mehr wollen. Wollten wir es nicht, dann wäre es schon fast gefahrlos, es zu tun. Eifersucht, sagen viele. Aber Eifersucht im aristotelischen Sinne, wonach wir auch für uns selbst erstreben, was der andere hat und wir noch nicht, kommt hier kaum in Frage. Eher schon, scheint es, der Neid, der alte: Was wir selbst nicht haben, darf auch der andere nicht haben!

Der Neid, das Gefühl der Gefühle, der Inbegriff der Zuverlässigkeit. Hat er immer das letzte Wort? Wollte, müsste jemand, der IHN liebt, Gott für sich alleine haben? Höchstens ein Ungläubiger, der insgeheim zu glauben wünscht, könnte IHN seinem Nächsten neiden. Und, wie Bernard Shaw es sah, nicht bei den Frauen stößt die Vielweiberei auf den heftigsten Widerstand, sondern bei den Männern; und die Vielmännerei nicht bei den Männern, sondern bei den Frauen. Welche Frau zieht es nicht vor, einen Engel und Milliardär zu teilen, statt einen Teufel oder anderen übelriechenden Dummkopf für sich allein zu haben. Die Vielweiberei wäre die Misere weniger der Frauen als der Männer, da zu viele Frauen sich James Dean an den Hals geworfen haben. Was für ein Desaster erst, denkt man für einmal nicht an Marilyn Monroe oder Brigitte Bardot, müsste die Vielmännerei für die Frauen sein! Die Männer alle unabkömmlich im selben unerhörten Bett.

Wir sind uns im Klaren: Eine harzige, verstockte Welt wär das, wenn alle nur eine oder einen lieben könnten! Doch dank dieser polygamen Ader, nur weil wir normalerweise etliche lieben könnten, werden die meisten von uns fündig. Und so bleibt das Urteil in dieser Frage das der Mehrheit und des Mittelmaßes: für jede einen und für jeden eine. Davon abgesehen, dass da noch etwas war, was wir nicht ganz vergessen sollten: nämlich die Zahnbürste, die nicht jede immer jedem gerne ausleiht. Aufgepasst, mit unserem Gatten oder unserer Gattin verhält es sich nicht völlig anders. In gewissen Fällen ängstigt uns am meisten, wir könnten sie und ihn am Ende – pfui! – gar nicht mehr wiederhaben wollen!