Vive la France supérieure!

Von Georg Brunold, du NO NEWS, 01.11.2000

«L'influence da la France a été favorisée par l'importance et la détermination de notre engagement.» Timothy Garton Ash zitiert diesen Satz als «the key conclusion» im offiziellen Kosovo-Bericht des französischen Verteidigungsministeriums von 1999. Les enseignements du Kosovo – «die Lehren aus Kosovo» – ist der Titel des Berichts. Hören wir demnach genauer hin, das Satz findet auf Seite 11: «Der Einfluss Frankreichs ist durch die Wichtigkeit und Entschiedenheit unseres Engagements gefördert worden.» Das ist diesmal in der Tat nichts Neues. Woraus leider nicht folgt, dass es nicht trotzdem hie und da ausgesprochen muss. Keine Angst, weiter gehen wir auf den Bericht nicht ein. Wo kämen wir da hin.

Früher war Newtons neue Theorie der Gravitation in Frankreich inakzeptabel, denn Newton war Engländer. Etwa um dieselbe Zeit, im frühen 18. Jahrhundert, musste Frankreichs Eisenerz, dessen Qualität zu wünschen übrig ließ, zur Stahlproduktion gut genug sein, da französisch, n'est-ce pas. Ein Franzose ist ein Patriot, der sagt, er liebt sein Vaterland. Die Briten nahmen von der Wirklichkeit Kenntnis und taten sich Erzquellen in Schweden auf. Später – in den frühen achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, um genau zu sein – wiesen Frankreichs Gesundheitsbehörden den Rückgriff auf amerikanische Aids-Tests von sich und zogen es vor, HIV-verseuchte Blutkonserven in Umlauf zu halten. Nous n'avons pas de leçons à recevoir... Die Bürokratie entwickelt die ihr gemäße Form von Toleranz.

In der Geschichte ist es vorgekommen, dass Frankreich vor die Tür komplementiert wurde, wie zum Beispiel 1958, als das Wahlvolk von Guinée Conakry gegen die Verfassung der Communauté française stimmte. Unter Frankreichs Kolonien war es die einzige, die in dem historischen Referendum die staatsrechtliche Bindung ans Mutterland löste. Die abziehenden Franzosen nahmen Telegrafenmasten und Eisenbahnschienen mit nach Hause, und heute rauch man in Guinea keine Gauloises, sondern die Schweizer Zigarettenmarke Parisienne.

Frankreich soll auf der Welt Kultur verbreitet haben, und richt: Alle weißen Menschen in Côte d'Ivoire oder Gabon sprechen französisch, sind also Franzosen, von anderen hat man nicht gehört. Sprechen Sie ein Französisch mit Akzent, dann kann diese Form von Kretinismus, angeborenem Schwachsinn, nur Besorgnis wecken, und man wird Sie fragen: «Woher aus Frankreich kommen Sie?» Es gibt einen Grad von Superiorität, dem jedes frische Lüftchen tödlich ist, und dermaßen ist die Sprache der Grande nation allen übrigen Sprachen überlegen, dass ihr bekanntlich schon ein einziges ausländisches Lehnwort den Garaus machen muss. So heißt die CD-ROM in Frankreich cédérom.

Voltaire wollen wir ausnehmen, sagte er doch vom amour propre, der Eigenliebe (in Frankreich das Perpetuum mobile): Il nous es nécessaire, il nous est cher, il nous fait plaisir et il faut le cacher. Aber Paris. Vor über zehn Jahren schon, am 14 juillet 1990, um genau zu sein, es war beim präsidialen Presseempfang im Garten des Elysée, zählte François Mitterrand die Gründe auf, es waren sieben, weshalb in Tat und Wahrheit die gegenwärtige Hauptstadt der Welt noch immer dieselbe alte sei: Paris. Sonderbar. Zum einen nämlich bleibt unerklärlich, woher die Frage, die doch keine ist, überhaupt hat kommen können. Und außerdem – die Hauptstadt, bitte schön, von was? Zumal in Paris keine Differenz bekannt ist zwischen dem Kosmos und Paris. Im Gegenteil, wir haben es erfasst: Diese Hauptstadt, da es sonst nichts gibt, ist die Hauptstadt von sich selber.