Auf Machiavellis Welt

Von Georg Brunold, du NO NEWS, 01.10.2000

Für D. S.

Der Italiener N. M. war kein Philosoph, im Gegenteil. Als politisch kaltgestellter Diplomat, dem keine andere Waffe geblieben war, schrieb er: über Politik, ihr Handwerk beziehungsweise ihre Kunst, ihre Tugenden und Untugenden, die Gründe ihrer Erfolge und Misserfolge. Sein Einsatz galt dabei wie ehedem erstens seiner Republik Florenz und zweitens dem Frieden in jenem Italien, wo ein bis zwei Dutzend Stadtstaaten während Jahrhunderten nichts einfiel, als der Verwüstung, mit der das Land von außen überzogen wurde, mit aller Energie im Inneren nachzuhelfen.

M. war erstens ein Patriot und zweitens ein Republikaner; einzig eine existenzielle Bedrohung des Vaterlandes konnte eine andere Staatsform als die Republik rechtfertigen. (Wir begegnen bei M. zum ersten Mal dem modernen Ausnahmezustand, aus dem man notfalls, wenn es anders gar nicht geht, mit Gewalt – der einzigen legitimen Gewalt! – in den Normalzustand zurückkehren muss. Hierin haben wir auch den berühmten Zweck, der die Mittel zwar weder heiligt noch besser macht, aber leider doch rechtfertigt: Notwehr.) «Ich glaube auch», sagte M., «dass das größte und Gott wohlgefälligste Gute, das man tun kann, das ist, welches man seinem Vaterlande tut.» Dieser Gott war freilich ganz M.s eigener – und ein heidnischer.

Wenig später endete G. Bruno auf dem Scheiterhaufen, weil er Gott in die Schöpfung aufgenommen hatte, indem er diese – die Unendlichkeit – mit ihrem Schöpfer für identisch erklärte, wonach ER, da sich die Schöpfung nicht zu wiederholen brauchte, in gewissem Sinne überflüssig war. Auch M.s Schriften landeten auf dem Index. Denn wenn der Vatikan nicht nur sich selber, sondern auch seine jenseitige Habe in die Politik einbrachte, und dies zum Schaden des Staats und seines Volkes, ließ M. diesen Gott der Christen nicht nur außer Acht, sondern erklärte dessen Empfehlungen rundheraus für ebenso schädlich wie die politische Bigotterie, auf deutsch Scheinheiligkeit, die damit ihr Unwesen trieb. Ein Heuchler war M. ebensowenig wie ein Zyniker.

Das Verhältnis seiner politischen Ethik zur christlichen Moral hat M. nicht zum Gegenstand einer Theorie gemacht. Er hielt es nicht für möglich oder kam gar nicht auf die Idee, Politik und Religion metaphysisch miteinander zu versöhnen, anders als die großen Philosophen vor ihm und die nach ihm, welche ihm dies – wie die Kirchen – nie verziehen. Man begreift das, denn den einen, in sich alles schließenden Geist, der die Sicherheit, nach der wir uns so sehr sehnten, im Himmel oder sonstwo im Absoluten zu verankern versprach, diese endgültige Lösung aller menschlichen Probleme, gibt es seit M. nicht mehr auf der Welt. «Toleranz», schrieb Isaiah Berlin in seinem Aufsatz Die Originalität Machiavellis, «ist historisch das Ergebnis der Einsicht in die Unversöhnlichkeit gleichermaßen dogmatischer Glaubensüberzeugungen und in die praktische Unwahrscheinlichkeit des vollständigen Sieges der einen über die andere. Wer überleben wollte, machte sich klar, dass er den Irrtum tolerieren müsse.»

Auch die Männer beispielsweise, die die amerikanische Verfassung schrieben, entschieden sich, vor der Wahl, eine Staatskirche zu errichten, dagegen – und wie M., diese antikische Gestalt, für bürgerliche Toleranz und Pluralismus. Der diabolische M. dagegen war eine propagandistische Karikatur der Gegenreformation. Was die Politik des Seelenheils anging, so empfahl M., den Weg zur Hölle derart zuzupflastern, dass künftig jeder von allein den Weg ins Paradies einschlüge. Infame Gerüchte gibt es viele. Aber Machiavelli – nie hat er das Böse gut genannt oder das Gute böse.