Lieber keine Politik als diese usw.

Von Georg Brunold, du NO NEWS, 01.05.2000

Der Stammtisch verarbeitet sein Vorbild, die Politik auf der Erde, und mit besonderer Hingabe tut er dies, wenn es zum Beispiel um Interventionen geht oder auch nur um Sanktionen. Er kommt dann unweigerlich etwa auf Mauern zu sprechen, die irgendwo um ein Land, in Wahrheit aber höchstens um ihn selber herum gebaut werden müssten. Nicht einmal da ist es möglich, geschweige denn in der Welt draußen oder auch nur in der politischen Presse. Dort weiß der Geist sich fast noch kritischer als am Stammtisch, und desto ungehemmter darf er eifern, zumal er, allein vom Ernst des Lebens und seinem unheilbar guten Gewissen getrieben, nur seine Pflicht tut.

Fällt zum Beispiel der Name Haider, werfe man sofort ein: Putin! – und weshalb tut niemand etwas gegen den Kriegsherrn von Grosny?! Oder: Uns einmischen in Kosovo? Ein Heuchler ist, wer eine Intervention in Jugoslawien fordert, nicht aber auch eine in Tibet, sondern höchstens in Osttimor. Wenn jenes nicht, dann auch dieses nicht (sondern gar nichts), wenn aber dieses, dann bitte auch jenes, usw. In verwandten Analogieschlüssen denken Serben, die meinen, durch die Nato sei ihnen das gleiche widerfahren wie einst Vietnam durch die USA, wobei ihnen das eine beweist, dass auch das andere zu unterbleiben gehabt hätte.

Mit Blick auf Haider aber darf man, auch wenn man selber nicht sogleich die Fassung verliert, keinesfalls schweigen, muss vielmehr nochmals unverzüglich dazwischenrufen: Fini, Bossi, Berlusconi und die Kommunisten in französischen Sozialistenregierungen! Intelligenz, geht eine Definition, ist Anzahl Analogieschlüsse pro Zeiteinheit – korrekter Analogieschlüsse, hätte es korrekt heißen müssen. Doch die Vergleiche werden schließlich nicht zum Zwecke ihres Analysiertwerdens angeführt, sondern um von dergleichen wie einem Urteil über gleichzeitig nur einen Gegenstand Abstand zu nehmen. Haiders rechtschaffene Männer bei der Waffen-SS und überhaupt was mit der Schoa zu tun hat – das ist zu singulär, wenn es um das ohnehin singuläre Österreich geht. Überdies wäre ein solches Urteil kontraproduktiv und deshalb ohne Rücksicht auf weitere Gesichtspunkte in jedem Fall zu vermeiden. Legt man dem kleinen Verbrecher das Handwerk, hat man auch den großen zu stellen, und kriegt man den nicht zu fassen, so folgt daraus, dass man auch dem kleinen nur freies Geleit geben kann. Oder weil wir uns gestern schon nicht gewaschen haben, lassen wir es am besten auch heute.

Beinahe atmen wir auf, wenn der Analogieschluss einmal andersherum läuft, auch das war schon zu beobachten: Da wir in Somalia soeben breit angelegt interveniert und unser Ziel verfehlt haben, können wir dies nicht sogleich in Rwanda wieder tun. Das mag nicht gar so dumm klingen wie die Ablehnung einer Intervention mit dem Argument, dass sie anderswo auch unterblieben sei, ist aber, wie sich gezeigt hat, im Resultat schlimmer. Dessen ungeachtet: Inkompetenz in der einen Intervention muss die Legitimation nicht nur dieser, sondern auch allen anderen Interventionen entziehen, die fortan anstelle der Inkompetenz zu bekämpfen sind. Was indessen Sanktionen angeht, so können die Entdeckung ihrer Fragwürdigkeit und entsprechende Rügen (für die EU zum Beispiel) unseren besagten kritischen Geist nicht zur Frage nötigen, was denn statt dessen – oder ob tatsächlich nur gar nichts – das Richtigere gewesen sein könnte, vom nächsten Mal nicht zu reden. Eigentlich können wir tun, was wir wollen, das kritische Urteil wird dasselbe sein: Bändigen wir alles, die gesamte Menschheit zugleich, oder andernfalls nichts.