Putin zum Nachruhm

Von Georg Brunold, du NO NEWS, 01.04.2000

Wladimir Putin, geboren 7. Oktober 1952, 1975 Abschluss an der juristischen Fakultät der Staatsuniversität Leningrad, Eintritt in den KGB (für 17 Jahre), Abteilung Auslandspionage, ab 1984 in Dresden, DDR, Angelikastraße 4, gegenüber dem Stasi-Quartier, zuständig für die Rekrutierung von Mitarbeitern mit Genehmigung für Westreisen. 1990/91 wieder an der Leningrader Staatsuniversität, Assistent des Rektors für internationale Beziehungen, im Dienste nach wie vor des KGB, «zum Besten der Gesellschaft», habe er geglaubt. 1992-1996 Assistent des Petersburger Bürgermeisters Sobtschak, ab 1996 im Kreml, 1997 Stellvertretender Stabschef, 1998 Chef des inneren Sicherheitsdienstes FSB, einer Nachfolgebehörde des KGB, ab März 1999 zugleich Sicherheitschef des Kremls. August 1999 Ministerpräsident, seit 31. Dezember 1999 Präsident Russlands.

Leistungsausweis an der Regierungsspitze: sieben Monate Krieg in Tschetschenien, Tausende von Toten, mehrheitlich Zivilpersonen, Hunderttausende auf der Flucht, alle Bürger der Russischen Föderation. Keine Aussicht auf eine politische Lösung. Wie jedoch der Zukunft die Vergangenheit vorausgeht, so harrte zuerst die letztere ihrer Bewältigung: An der Lubjanka, dem KGB-Hauptquartier, hatte Putin eine Ehrentafel anbringen lassen für Juri Andropow, KGB-Chef während Breschnews letztem Großeinsatz gegen Dissidenten, später Staats- und Parteichef. Präsident Putin fand noch versöhnliche Worte nicht nur zur eigenen loyalen Vergangenheit, sondern auch zu der des KGB samt seinen Vorläufern NKWD und Tscheka, Institutionen, die nicht nur dem Bösen gedient hätten, so dass es «unredlich» sei, von ihnen immer so zu reden, «als bräuchten wir keine Staatssicherheit».

Noch 1999 hatte Putin von der «Katastrophe» gesprochen, dass in den späten achtziger Jahren die KPdSU es versäumt habe, den Sowjetstaat zu modernisieren. Er, Putin, habe an dessen Sanierbarkeit geglaubt. Die Zahl von dessen Bürokraten immerhin verdoppelte sich in der Ära Jelzin. Unter Putin, hatte Jelena Bonner, die Frau Sacharows, gewarnt, baue Russland am neuen Polizeistaat. Mit Ausnahme von Grigori Jawlinskis liberaler Jabloko waren dennoch alle in der Duma vertretenen Parteien von Putin beinahe so überzeugt wie vom Krieg im Kaukasus. Schließlich bediente sich die russische Berichterstattung aus Grosny nicht bloß der Zensurpraktiken, wie sie auch westliche kriegführende Staaten kennen, sondern betrieb, etwa wenn es um eigene Verluste ging, gezielte Desinformation. Hatte Putin nicht auch im Westen Eindruck gemacht mit seiner «kühlen Sachlichkeit»? Außerdem war er ein «patriote animé par une grande idée de son pays», wenigstens für Hubert Védrine, Außenminister der Grande Nation. Im russischen Fernsehen Putin derweil als Judoka: physisch in besserer Verfassung als Boris Jelzin, ganz wie Russlands Wähler es sich wünschten.

Aber, trösten wir uns, da wir es jetzt wissen, ein anderer – wie hieß er? – musste es sein, der von den Russen gewählt werden konnte, nicht jener Präsident, der sich zurückhielt, wenn er – mit Stalins Epitheton – als der «Eiserne» gewürdigt wurde. Nicht der eiskalte Verstellungskünstler, der am Grab des Friedensnobelpreisträgers Sacharow Blumen niedergelegt hatte. Der zwar gerne Schriftsteller empfing, aber sagte, Bücher von Sowjetdissidenten, Leuten, die das Vaterland verraten hätten, nein, die lese er nicht. Nicht er also wurde gewählt, und freuen wir uns! Die Akte Putin ruht. Wer jene Bomben gelegt hat, die vor einem halben Jahr in Moskauer Wohnblocks Hunderte von Todesopfern forderten – nicht das Geringste ist darüber bekannt, weshalb es nur tschetschenische Terroristen gewesen sein konnten.