Notenpresse und Harndruck

Kolumne in der «Basler Zeitung», 22.07.2011

Ich lebe, falls Sie das nicht wissen, in Afrika. Aber mindestens dreimal im Jahr reise ich in die Schweiz. Dort besuche ich regelmässig S. S., meinen Freund und Erfinder, was ich unlängst wieder tat. Mit der Erfindung des ersten digitalen Schweizer Telefonbuchs Twixtel, einer Technologie, die 1987 in unseren Nachbarländern unbekannt war, hat S. S. seinerzeit die Kommunikation im Land nachhaltig gestärkt, und noch heute ist sein Sitz am Zürichseeufer in Kilchberg ein Ort des Austauschs, auch über andere Erfinder und Erfindungen.

Die Firma von einem seiner Freunde, erzählte S. S. diesmal, hatte sich vor Kurzem mit Ungemach einer besonderen, für unsere Gegenwart recht bezeichnenden Art zu plagen. Schwierigkeiten nicht etwa auf der Nachfrageseite, sondern aus entgegengesetzter Richtung: beim Nachschub. Die Firma liefert unter anderem hochwertige Spezialpapiere an Krankenhäuser, auf denen zum Beispiel EKG aufgezeichnet werden. Eines Tages plötzlich lässt der Schweizer Hauptzulieferer wissen, von ihnen sei nichts mehr zu haben. Auf absehbare Zeit ist man da, wie bald einmal durchsickert, ausgelastet mit der Herstellung von Banknotenpapier. «Nun bekommen die also von Schweizer Herstellern kein Papier mehr, und plötzlich merkst du», so S. S., «was um uns herum derzeit eigentlich los ist. Auf Jahre hinaus ausgelastet mit der Herstellung von Banknotenpapier.»

Wie es scheint, gibt es nebst Leidtragenden in der Schweiz doch auch Profiteure der Euro-Krise, obschon von Radio DRS1 soeben zu hören war, die Schweizer Wirtschaft sei ein Opfer dieser Krise, die Gewinne der soundso vielen grössten Unternehmen (wenn auch nicht von Novartis) seien um ein Prozent zurückgegangen. In Arosa, wo ich mich zurzeit gerade aufhalte, sprechen alle vom Einbruch der Gästezahlen in der diesjährigen Sommersaison. Aber für den Schweizer Zulieferer von S. S. Freund, der sich vorderhand auf Banknotenpapier konzentriert, war nur in Italien Ersatz zu finden.

Auch Geld, bei dem man nicht zuerst ans physische Gewicht denkt, will zuerst hergestellt sein, wenn es davon auf einmal deutlich mehr geben soll: Das Sümmchen von 100 000 Euro in Hunderterscheinen wiegt 1 Kilogramm und 20 Gramm, eine volkswirtschaftliche Spritze von 100 Milliarden immerhin 1020 Tonnen - auf ebener Unterlage ausgebreitet sind das 1205,4 Quadratkilometer Papier, mehr als zweimal die Fläche des Kantons Basel. Dollar-Noten sind etwas leichter, nur 0,91475 Gramm das Stück, aber die gegenwärtige amerikanische Staatsschuld von 14 Billionen oder 14 000 Milliarden Dollar wiegt in Hunderternoten doch 128 086 Tonnen, die Ladung von 3200 Sattelschleppern. In der Schweiz selber aber, anders als in der EU, wird Papiergeld einstweilen nur gedruckt, um den Ausschuss zu ersetzen.

Wer nicht exportiert - und nicht jedes Schweizer Erzeugnis ist derzeit für die Nachbarn erschwinglich -, ist also auf Ideen angewiesen. Hört man von der Schweiz nicht immer wieder, ihr einziger Rohstoff in bedeutenden Mengen sei der Grips- Um ehrlich zu sein, viel davon ist importiert, und wäre es nur aus der «fünften Schweiz», den weitläufigen Kolonien der Auslandschweizer, deren Zahl auch im neuen Jahrhundert beständig zunimmt, in den Jahren 2000 bis 2010 von 580 000 auf fast 700 000. Immer wieder kehren von diesen Landesflüchtigen doch einige zurück, und schon die Schweizer Banker und frühen Industriellen brachten ihr Know-how aus England mit, wohin sie sich während der letzten Besetzung ihrundefinedes Landes durch Napoleons Truppen abgesetzt hatten. Auch mein Freund S. S. ist übrigens importiert. Doch in ihrem imposanten Buch «Wirtschaftswunder Schweiz. Ursprung und Zukunft eines Erfolgsmodells» sehen R. James Breiding und Gerhard Schwarz jedenfalls Grund genug, den Schweizer Grips zu feiern; und dies, obschon ein ebenfalls dieses Jahr im Buchverlag der NZZ erschienener Sammelband «Vom Schächt- zum Minarettverbot» weniger helle Seiten des Schweizer Geistes beleuchtet und den Befund nicht aus der Welt schafft, dass unsere direkte Demokratie sich im Umgang mit religiösen Minderheiten, importierten vor allem, am Rande der Rechtstaatlichkeit bewegt.

Import, und zwar nicht nur von Grips, ist bekanntlich das Schweizer Gebot in dieser Stunde unseres sauteuren Frankens. Auch die Firma von S. S. Freund, bedacht auf wohlberatene Diversifizierung ihres Angebots, fehlt da nicht und präsentiert endlich die Lösung für den auswegslosen Stau am Gotthard, wo wohl männliche, weniger aber weibliche Verkehrsteilnehmer Blasenerleichterung im Freien finden. Es handelt sich um den in Deutschland entwickelten und produzierten Einwegurinalbeutel Roadbag (männliche Ausführung) und Ladybag (weibliche Ausführung mit grösserem Ring). Der bis zu einem Liter fassende Beutel aus reissfestem, kompostierbarem Kunststoff enthält unter einer Vliesabdeckung «Tausende Kristalle eines Superabsorbers, die durch ihre hohe Quellfähigkeit warme Flüssigkeit rasch binden und zu einem festen Gel verdichten, das sich nicht mehr auflöst. Das Vlies schützt die Haut vor Kontakt mit dem Gel. Und auch Gerüche werden zuverlässig verhindert - hygienischer gehts nicht», so die Produktbeschreibung des Schweizer Vertreters. Noch ist der Hauptabnehmer die Polizei. Bei Transporten können Häftlinge, die auf ein Örtchen müssen oder möchten, dank dem Roadbag nunmehr besser im Auge behalten werden. Die Basler Zeitung stellt sich gerne in den Dienst einer breiteren Aufklärung und Linderung.