Amerikas ungemütliche Freunde

Kolumne, erschienen in der «Basler Zeitung», 27.05.2011

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Auf seiner Höllenfahrt hat Osama bin Laden zum Monatsauftakt bei den Redaktionen mancher Leitmedien ein Briefchen deponiert mit der Frage, ob er ein Mann der Vergangenheit oder der Zukunft war. Verständlich, wenn seine Feinde intensiver über der Frage brüten als seine Getreuen. Von ihrem Verhalten hängt mehr ab. Während der Umbruch an der südlichen und östlichen Mittelmeerküste uns in Atem hält, ist die islamische Welt noch weitenteils eine Welt von Nationen unter dem Joch von Despoten und versteinerten Regimen. Sie haben keine Legitimation ausser der zum Vorwand umfunktionierten islamistischen Gefahr. Diese haben sie mit ihren Unterdrückungsapparaten zu einem guten Teil selber erzeugt.

In den letzten 20 Jahren haben zwei Mächte den stärksten Einfluss auf die Verhältnisse in der islamischen Welt ausgeübt, und dies in höchst energischem Zusammenwirken: Saudi- Arabien und Pakistan (bin Ladens Wiege und Endstation). In beiden Ländern haben Teufelspakte zwischen den bestimmenden - sich zuweilen bis aufs Blut bekämpfenden - Kräften die inneren Verhältnisse tiefgefroren. Eben deshalb bleiben sie hochexplosiv. Und der Westen, an der Spitze die USA, ist mit Saudi-Arabien und Pakistan strategische Allianzen eingegangen, von denen kein Mensch und zuallerletzt die US-Regierung anzugeben wüsste, unter was für Umständen sie in absehbarer Zeit nochmals kündbar sein könnten.

In Riad regieren die Saud, eine Sippschaft der zentralarabischen Wüste, in Arbeitsteilung mit den Führern einer fundamentalistischen Sekte, den Wahhabiten, die neben sich im Land kein anderes Bekenntnis dulden. Diesen bleiben die Religionspolizei sowie die Herrschaft über Moscheen, Justiz und Bildungswesen überlassen. Die knappen hauseigenen religiösen Kader werden verstärkt durch importierte Islamisten, angeführt von ägyptischen Muslimbrüdern, die einst der Sozialist Nasser vom Nil vertrieb.

Vom Pakt zwischen dem Königshaus und dem mit ihm mannigfach verschwägerten wahhabitischen Establishment konnte niemand erwarten, dass er für alle Ewigkeit sakrosankt bleiben würde. Der Export fundamentalistischer Eiferer, die besser auswärts zur Verbreitung des wahhabitischen Bekenntnisses beitragen sollten, hatte schon vor dem afghanischen Widerstand gegen die Sowjets eingesetzt. Dieser verpasste ihm ab 1980 enormen Aufschwung. Das war noch nicht Al Qaida. Aber mit ihr würden diese Brigaden, als Teil einer neuen islamistischen Internationale, auf Dauer mindestens eines gemeinsam haben: Sie sprachen der saudischen Monarchie die Legitimation ab. Das Königshaus in Riad würde sie sich vom Hals halten, indem man ihnen ins Exil Geld nachwarf.

Mit den USA tauschte man wie eh und je Öl gegen Sicherheit, was seit Saddams Überfall auf Kuwait und dem ersten Golfkrieg von 1991 jedem klar war und bis heute der saudisch- amerikanische Deal geblieben ist. Ansonsten gewann Amerika auf der arabischen Halbinsel kaum politischen Einfluss. Ändern könnte sich das einzig, so meinen viele Beobachter in Washington, durch eine auf mehr Unabhängigkeit bedachte amerikanische Energiepolitik.

Was vom saudischen Ölgeld zu Hause übrig blieb, floss in ungezählten Milliarden - vom Staat und von privaten Spendern - in die wahhabitische Weltmission. Diese pflügte in den islamischen Teilen Südasiens mit ihren lokalen Verbündeten und Lakaien von Afghanistan bis zu den Philippinen die politische Szene um. In Pakistan hatte sich die neue islamistische Internationale 1977 mit General Zia ul Haq an die Macht geputscht. Nach dessen Ausscheiden 1988 behielten ihre Parteien - als unentbehrliche Koalitionspartner sowie innerhalb der Armee und der Geheimdienste - ein vielfältiges Arsenal zuverlässiger Erpressungsmittel in der Hand, gegen welche sich keine der folgenden Regierungen zu wehren wusste.

Seit der Teilung von British India 1947 starrt Pakistan auf den «übermächtigen Erbfeind» Indien: ein Popanz, an dem zu rütteln in Islamabad politischer Selbstmord wäre.

Die Folgen: Erstens schickt der hochmilitarisierte Staat seit Jahrzehnten Heerscharen von Mujaheddin in den Kampf gegen die indischen Besetzer Kaschmirs. Zweitens: Das strategische Credo, auf Afghanistan als engem Verbündeten um keinen Preis verzichten zu können und deshalb selbst die Taliban in Kauf zu nehmen, garantiert diesen und den übrigen Extremisten dort bis heute, dass Pakistans Potentaten, falls sie nicht mitmischen, standhaft in die andere Richtung schauen.

Afghanistan und Kaschmir sind die drängendsten Probleme in der islamischen Welt, von deren Gesamtbevölkerung die Araber noch ein Viertel stellen. Erst danach kommt Palästina.

Und während die gesamte radikal-islamische Szene Südasiens im Geld aus der arabischen Halbinsel schwimmt, hält die amerikanische Militärhilfe - das sind elf Milliarden Dollar seit dem 11. September 2001 - Pakistans allmächtige und ach so schwer bedrängte Armee bei der Stange, inklusive die zivilen Regierungen, hinter deren Kulisse die Generäle sich zeitweise versteckt halten, um ungestört ihren Geschäften nachzugehen. Auch mit Getreuen bin Ladens, von dem Pakistans Geheimdienst ISI immer gewusst hat, wo er sich aufhielt. Seit Monatsbeginn aber ist es der pakistanische Staat mit seinen zweifelhaften Einrichtungen und wohlmeinenden Verbündeten, auf den alle Gewehrläufe von Osamas Getreuen zielen, und soweit er nicht gestorben ist, lebt er also heute noch.